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Seite 2  Seidl, Der Leiermann


ein blondlockiger Knabe mit ernsteren Mienen dem kleinen Schauspiele zu, als mancher Hochgebildete, der ein Shakespearesches Stück eben langweilig genug findet, um die Hälfte des Dialogs zu überhören. Dort spiegelte ein kleines Pärchen, das gerade seine erste Bekanntschaft angeknüpft hatte, eine hochromantische Szene seiner künftigen Lebenszeit im kleinen; dort äußerte sich der Trieb der Ehrsucht in einem Kinde, das am Stelzfuße des Leiermannes der Orgel noch nicht nahe genug zu sein wähnte; dort spielte ein kleiner Phlegmatiker mit einem Hunde, der den kleinen krüppelhaften Tamburinschläger beschnupperte, -kurz, wohin mein Auge fiel, sah es eine belebte Mosaik; sah es, wie durch ein verkehrtes Perspektiv, das Menschenleben in seinen schärfsten Umrissen, wenngleich winzig und zwerghaft.


Dessenungeachtet hielt mich die Beobachtung dieser großen kleinen Gesellschaft nicht ab, auch manchmal der kleinem kleinen Gesellschaft meine Aufmerksamkeit zu schenken, welche sich im Oberteile des Leierkastens selbst, nach dem Takte der taktlosen Melodie bewegte. Dieser Oberteil stellte nämlich das Innere einer Schenke dar, die eben nicht nach dem Originale eines Gasthofes erster Größe entworfen schien.


Knapp an der Türe war ein kleiner Verschlag, in welchem der Wirt stand, das Getränk ausschenkend, und den Gästen auflauernd, umjeden neuen Trunk mit einem Kreidestrich zu bezeichnen. In der andern Ecke hing ein altes Bild, mit grellem Rot und Blau auf Silbergrund gemalt. Darunter stand ein eichener Schiebtisch, über welchem, mit Blumen bekränzt, das Zeichen einer Handwerkszunft hing. Seitwärts in der Vertiefung des hoch oben angebrachten Fensters saßen zwei Musikanten, der eine die Klarinette, der andere den Brummbaß spielend. Im Vordergrunde aber drehten sich nach dem Takte der Orgelmelodie, welche für eine rege Kinderphantasie deutlich genug von den beiden Musikanten auszugehen schien, zwei Tänzerpaare ziemlich langsam. Erst in der Wendung, wo der Draht sich an der Fuge des Bodens fing, kamen sie durch einen gewaltsamen Riß in regere Bewegung. Das eine dieser Tänzerpaare bestand aus einer wohlbeleibten Frau, der Wirtin, und einem winddürren Grundwächter, welcher selbst im Tanze sich nicht herabließ, die Insignien seiner Würde, den Stock und den Tressenhut, abzulegen. Das andere Paar bildeten ein junger Bursche ohne Rock, das Halstuch ganz symbolisch locker um den Hals geschlungen, und eine alte Krämerin mit spitzem Kinn und behaglich zugedrückten Augen. Unter den Musikanten aber stand eine erhitzte Dirne, wahrscheinlich ausruhend vom Tanze, jedoch so aufgeregt, daß sie mit offenem Munde die Tanzweise mitzulallen schien. Ein Holzkreuz, welches mit zwei Kerzen besteckt über die Tanzenden herabhing, erleuchtete die Szene.


Sämtliche Figuren waren so charakteristisch und bis in die feinsten Nüancen ausgearbeitet, daß man sie wirklich Meisterstücke nennen und sich des Gedankens nicht erwehren konnte, wirkliche Wesen in der Vogelperspektive zu erblicken.


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