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- 2 - Herbert Rosendorfer, Die Karriere des Waldweibel-Hostelli


Das alles wäre für Waldweibel-Hostelli kaum von Bedeutung gewesen, wenn die Töne nicht die dünnen Wände des Hauses Annenstraße 14 durchdrungen hätten. Zwar störte Waldweibel das vor-und nachmittägliche Üben seines Nachbarn nicht, denn um diese Zeit arbeitete Waldweibel an den Wochentagen in den unfreundlichen Räumen der Firma Dr. Harland & Dr. Filchner KG und ärgerte sich, daß er - anstatt lyrische Gedichte zu schreiben - irgendwelches Pulver mischen und in Flaschen abfüllen mußte. Gegen das abendliche Üben aber verwahrte sichWaldweibel in einer schriftlichen Beschwerde an die Hausverwaltung. Die Beschwerde war erfolglos, denn Sagasser hielt sich streng an die Hausordnung, soweit sie die Musikbetätigung der Inwohner reglementierte (im übrigen selbstverständlich auch, denn Sagasser hielt weder einen Leoparden noch ein Bordell, auch klopfte er seinen Teppich nie vor sechs Uhr in der Früh).

Es ist schwer zu entscheiden, ob ein musikalischer oder ein unmusikalischer Mensch mehr unter fremdem pianistischem Üben leidet. Dem schmalen Genuß, der sich dem musikalischen Zwangshörer gelegentlich bietet, steht der oft lebenslange Schaden gegenüber, der ihm dadurch zugefügt wird, daß eine einzige Passage aus einem schönen und großen Werk bis zum Wahnsinn wiederholt wird, so daß der musikalische Nachbar später schon beim ersten Ton dieses Werkes Krämpfe bekommt und bedauernd das unschuldige Werk aus dem Kreis seiner möglichen Kunsterlebnisse streichen muß. Demgegenüber empfindet der unmusikalische Nachbar - letztlich doch wohl milder behandelt - pianistisches Üben nicht anders als schlichten Lärm. So Florenzo Waldweibel-Hostelli, dessen außerordentlich rudimentäre Musikalität höchstens relativ tiefe und relativ hohe sowie schnellere und langsamere Musikstücke unterscheiden konnte. Die Nationalhymne erkannte er - als Lyriker - am Text.


Der erwähnte Beschwerdebrief war nicht nur erfolglos, er bewirkte sogar eine Verschlimmerung. Sagasser,  vielleicht darüber aufgebracht, daß Waldweibel nicht den direkten Weg von Nachbar zu Nachbar gefunden hatte, um in Güte die Sache zu regeln, hielt sich von nun an nachgerade zynisch an die Hausordnung. An Samstagen (an denen Waldweibel lang im Bett lag und dichtete) hatte Sagasser früher nicht vor zehn Uhr vormittags zu spielen angefangen. In der Hausordnung hieß es, Musizieren an Werktagen sei erst ab acht Uhr gestattet. Der Samstag ist vorerst immer noch ein Werktag, sagte sich Sagasser und begann Schlag acht Uhr mit irgendwelchen



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