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- 2 - Hermann Hesse: Der Steppenwolf


»Darauf, daß man musiziert, Herr Haller, daß man so gut und so viel und so intensiv wie

möglich musiziert! Das ist es, Monsieur. Wenn ich sämtliche Werke von Bach und Haydn im Kopf habe und die gescheitesten Sachen darüber sagen kann, so ist damit noch keinem Menschen gedient. Wenn ich aber mein Blaserohr nehme und einen zügigen Shimmy spiele, so

mag der Shimmy gut sein oder schlecht, er wird doch den Leuten Freude machen, er fährt ihnen in die Beine und ins Blut. Darauf allein kommt es an. Sehen Sie einmal in einem Ballsaal die Gesichter an in dem Augenblick, wo nach einer längeren Pause die Musik wieder loslegt — wie da die Augen blitzen, die Beine zucken, die Gesichter zu lachen anfangen! Das ist es, wofür man musiziert. «

»Sehr gut, Herr Pablo. Aber es gibt nicht bloß sinnliche Musik, es gibt auch geistige. Es gibt nicht bloß die, die im Augenblick gerade gespielt wird, sondern auch unsterblich; die weiterlebt, auch wenn sie nicht gerade gespielt wird. Es kann jemand allein in seinem Bett liegen und in seinen Gedanken eine Melodie aus der Zauberflöte oder aus der Matthäuspassion erwecken, dann findet Musik statt, ohne daß ein einziger Mensch in eine Flöte bläst oder eine Geige streicht.«

»Gewiß, Herr Haller. Auch der Yearning und der Valencia wird jede Nacht von vielen einsamen und träumerischen Menschen stumm reproduziert; noch das ärmste Schreibmaschinenmädel in seinem Bureau hat den letzten Onestep im Kopf und trommelt ihre Tasten nach seinem Takt. Sie haben recht, alle die einsamen Menschen, ich gönne ihnen allen ihre stumme Musik, sei es der Yearning oder die Zauberflöte oder der Valencia! Aber woher nehmen denn diese Menschen ihre einsame, stumme Musik? Sie holen sie bei uns, bei den

Musikanten, sie muß zuerst gespielt und gehört und ins Blut gegangen sein, eh einer daheim in seiner Kammer an sie denken und von ihr träumen kann. «

»Einverstanden«, sagte ich kühl. »Dennoch geht es nicht an, Mozart und den neuesten Foxtrott auf eine Stufe zu stellen. Und es ist nicht einerlei, ob Sie den Leuten göttliche und ewige

Musik vorspielen oder billige Eintagsmusik.«

Als Pablo die Erregtheit in meiner Stimme wahrnahm, machte er alsbald sein liebstes Gesicht, strich mir kosend über den Arm und gab seiner Stimme eine unglaubliche Sanftheit.

»Ach, lieber Herr, mit den Stufen mögen Sie ja ganz recht haben. Ich habe gewiß nichts dagegen, daß Sie Mozart und Haydn und den Valencia auf jede Ihnen beliebende Stufe stellen! Mir ist das ganz einerlei, ich habe über die Stufen nicht zu entscheiden, ich werde nicht Herüber gefragt. Der Mozart wird vielleicht auch noch in hundert Jahren gespielt werden und der Valencia vielleicht schon in zwei Jahren nicht mehr — ich glaube, das können wir ruhig dem lieben Gott überlassen, er ist gerecht und hat unser aller Lebensdauer in der Hand, auch die jedes Walzers und jedes Foxtrott, er wird sicher das Richtige tun. Wir Musikanten abc; wir müssen das Unsere tun, das, was unsere Pflicht und Aufgabe ist: wir müssen das spielen, was gerade im Augenblick von den Leuten begehrt wird, und wir müssen es so gut und schön und eindringlich spielen wie nur möglich.«

Seufzend gab ich es auf. Diesem Menschen war nicht beizukommen.





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