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aus:
Herbert Rosendorfer, Briefe in die chinesische Vergangenheit

 // Mit freundlicher Genehmigung der F.A.Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

                         

Gestern abend war für mich eine Stunde neuer Offenbarung. Die Stunden  genauer gesagt: es waren zwei Stunden und eine halbe  zeigten mir, daß es in dieser fernen Welt nicht nur Lärm, sondern auch Musik gibt. Wie nicht anders zu erwarten, war mir die Musik zunächst äußerst fremd, aber ich habe schon bald begonnen, in ihren Kern einzudringen.

Herr Shi-shmi  der kein Musiker von Beruf ist, aber die Musik liebt  hat mich auf den Abend vorbereitet. An bestimmten Tagen kommen die Leute zu ihm (die vier Freunde treffen sich reihum in den Wohnungen der anderen), um zu musizieren. Daß ich diese Musik bis jetzt nicht kennengelernt habe, hatte seinen Grund darin, daß die vier Freunde im Sommer in ihren Gewohnheiten eine Pause einlegen, weil man da zu verreisen pflegt. Auch Herr Shi-shmi, sagte er, pflegt den Sommer woanders, meist jenseits der großen Drei-Gebirgszüge am Meer zu verbringen. Dieses Jahr habe er es meinetwegen unterlassen. Ich war beschämt, als er mir das erzählte. Er schnitt aber meine Einwendungen ab, indem er sagte, daß der Umgang mit mir ihm mehr Erkenntnisse verschafft und mehr Gewinn beschert hätte als eine Reise und daß ihn die Gespräche mit mir hundertfach für die versäumte Reise dieses Jahres entschädigt hätten. Dennoch dankte ich ihm mit vielen Worten und einer Ein- und Zwei-Drittel-Verbeugung. Aber nun, im September, kämen er und seine drei Freunde wieder regelmäßig zusammen, um zu musizieren. Selbstverständlich nahm ich seine Einladung an, der Musik beizuwohnen.

Die Musik wird hier  jedenfalls von Herrn Shi-shmi und seinen Freunden  sehr ernst genommen. Es wird nur Musik gemacht und dabei weder getanzt noch gesungen. (Es gibt aber auch, versichert mir Herr Shi-shmi, gesungene Musik.) Die Musik zu viert, sagt Herr Shishmi, gelte unter Kennern als die Krönung dieser Kunst. Sie erfülle keinen Zweck und sei, wenn überhaupt, nur ein Ritual ihrer selbst; eine Ansicht, die Du wie auch ich wohl aufs innigste teilen.

Jeder von den Vieren  den drei anderen wurde ich als Gast aus dem fernen Chi-na vorgestellt; sie fragten nicht weiter und redeten auch nicht viel  jeder spielte nur ein Instrument: zwei davon (darunter auch Herr Shi-shmi) spielten ein Instrument aus Holz, das unserer Er Hu ähnlich ist, nur flacher, mit geschlossenem Boden und kürzerem Hals. Ich ließ mir alles erklären: das Instrument heißt Kei-geh oder Wi-lo-ling und klingt etwas höher und heller als das Instrument, das ein ziemlich dicker, bärtiger Mann (er wurde Te-cho genannt) spielte. Jenes Instrument hat auch die Form der Kei-geh, ist aber etwas, kaum merklich größer und heißt Wa-tsche oder Wi-lo-la. Dazu kam  vom Sohn des Herrn Te-cho gespielt, einem noch bartlosen Jüngling  eine Art größere Kei-geh, das tiefer klingende, sogenannte Cheng-lo. Kei-geh und Watsche werden beim Spielen unters Kinn und gegen die linke Schulter geklemmt; das Cheng-lo wird zwischen den Knien gehalten. Alle Instrumente werden mit einem Bogen gestrichen, wie bei unserer Er Hu, nur nicht an den Saiten von unten her, sondern von oben. Den Bogen halten sie in der rechten Hand, mit der linken bestimmen sie die Tonhöhe durch Verkürzen der Saite  wie eben bei der Er Hu.

Auch das hat mir Herr Shi-shmi gezeigt: es gibt eine eigene Schrift für Musik, die aus einem Gewirr von Punkten besteht und für mich selbstverständlich völlig unentzifferbar ist.


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