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aus: Leo Tolstoi, Die Kreutzer-Sonate


Ich denke, es ist überflüssig, Ihnen zu erzählen, daß ich sehr ehrgeizig war.

Wenn man in unserem wenig sinnvollen Alltagsleben keinen Ehrgeiz kennt, hat das Leben ja wenig Wert. Nun, und diesen Sonntag widmete ich mich also mit Eifer den Vorbereitungen zur Tafel, und zum musikalischen Teil des Abends besorgte ich selbst allerlei Einkäufe dafür und lud die Gäste ein.

Gegen sechs Uhr versammelten sie sich; er erschien im Frack, mit geschmacklosen Brillantknöpfen. Er benahm sich sehr ungezwungen und gab auf alles rasch Antwort, mit jenem zustimmenden, verständnisvollen Lächeln, das ausdrücken sollte, wie sehr alles, was getan oder gesprochen wurde, seine Zustimmung und sein Einverständnis habe.

Alles, was an ihm nicht in Ordnung war, bemerkte ich jetzt mit besonderem Vergnügen, weil das alles zu meiner Beruhigung beitragen und mir beweisen sollte, wie weit er unter meiner Frau stand, und daß sie sich zu ihm um ihre eigenen Worte zu gebrauchen nie herablassen konnte. Nicht nur weil ich den Versicherungen meiner Frau glaubte auch wegen der qualvollen Pein, die mir meine Eifersucht bereitet hatte wollte ich jetzt nicht mehr eifersüchtig sein. Trotzdem war ich während des Abendessens ihm und ihr gegenüber nicht ganz frei und natürlich, und in der ersten Hälfte des Abends, bevor man mit der Musik begann, verfolgte ich unwillkürlich jede Bewegung, jeden Blick der beiden.

Das Abendessen verlief wie alle Abendessen also langweilig; und es herrschte ein gezwungener Ton. Ziemlich früh begann daher der musikalische Teil. Er ging seine Geige holen, meine Frau trat an den Flügel und begann die Noten auszusuchen.

Ach, wie genau ich mich aller Einzelheiten dieses Abends erinnere! Ich erinnere mich noch, wie er seine Geige brachte, den Kasten aufschloß, die von Damenhand gestickte Umhüllung abnahm und die Geige zu stimmen begann. Ich erinnere mich, wie meine Frau sich am Flügel niederließ, scheinbar gleichmütig, in Wirklichkeit jedoch, wie ich beobachtete, sehr ängstlich eine Ängstlichkeit, die hauptsächlich ihrem ungenügenden Können entsprang; mit geheucheltem Gleichmut also setzte sie sich an den Flügel, gab, wie es üblich ist, das A auf dem Klavier an; darauf folgte das Pizzicato der Geige, und dann wurden die Noten aufgelegt. Ferner erinnere ich mich noch, wie sie einander ansahen, während sie sich nach den Zuhörern umwandten; wie sie dann einander etwas sagten, und wie das Spiel begann. Die ersten Akkorde klangen auf, sein Gesicht wurde ernst, gesammelt, sympathisch, seine Finger griffen in die Saiten, aufmerksam hörte er auf die Töne es fing an. Sie spielten die Kreutzersonate von Beethoven ... Kennen Sie das erste Presto? Kennen Sie es? Oh!»

Posdnyschew seufzte tief und schwer auf und verharrte dann lange Zeit in Schweigen.

Endlich fuhr er fort.

»Diese Sonate ist etwas Schreckliches namentlich dieser Teil. Und die Musik überhaupt ist etwas Schreckliches! Was ist das nur? Ich weiß es nicht. Was ist denn die Musik? Was bewirkt sie? Und wozu bewirkt sie das, was sie hervorbringt? Man sagt, die Musik wirke erhebend auf die Seele - Unsinn! Das ist nicht wahr! Sie wirkt auf die Seele ein, schrecklich wirkt sie - ich spreche von mir selbst , aber durchaus nicht erhebend. Sie wirkt weder erhebend noch erniedrigend auf die Seele, sondern aufregend. Wie soll ich es Ihnen erklären? Die Musik erreicht, daß ich mich selbst, meine wirkliche Lage vergesse; sie versetzt mich in


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