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- 3 - Arthur Rubinstein: Erinnerungen - Die frühen Jahre


unterschätzt dein Talent, Arthur.«

»Mit Talent allein gewinnt man keine Wettbewerbe«, entgegnete ich. »Da wird wesentlich mehr verlangt.« Jetzt gaben die beiden auf, die Diskussion war zu Ende, doch sie hatte mich aufgestört. Offen gesagt, beneidete ich junge Pianisten, die acht Stunden am Tag ihrer Arbeit widmeten und die Stücke vollkommen beherrschten. Ich versuchte, nicht mehr an den Wettbewerb zu denken. Die Konzerte mit Paul waren herrlich, wir inspirierten einander gegenseitig in den Sonaten von Franck und Brahms, und unser Publikum spürte das.

Warschaus Wahrzeichen, die Nixe, war wiederum am Werke, und ich verfiel ihrem Zauber mit mehr Grund als je zuvor. Polas Liebe, Zärtlichkeit und Charme liehen mir neue Vitalität und Kraft. Ihr Mut hatte mich ein für alle mal aus dem beschämenden envoûtement ihrer Familie erlöst, und ihr danke ich, daß ich die reizvolle Warschauer Atmosphäre in vollen Zügen genießen konnte, zu der eben alles gehörte - Freunde, Theater, Straßen, Cafés und die Menschen mit ihrem Humor! Auch schmeichelte mir, daß man in Warschau und Lodz meine Erfolge im Ausland kannte.

Mein Liebesglück mit der Nixe von Warschau nahm allerdings eines Morgens ein jähes Ende. In der Zeitung stand über den Rubinstein-Wettbewerb ein Artikel, der mein Blut in Wallung brachte. Glasunow und die Jury hatten nämlich den Zaren gebeten, die Verordnung, derzufolge russische Juden nicht länger als vierundzwanzig Stunden in der Hauptstadt sein durften, zugunsten der jüdischen Wettbewerbsteilnehmer aufzuheben. Er möge ihnen gnädigst erlauben, für die Dauer des gesamten Wettbewerbs in der Stadt zu bleiben. Der Zar beantwortete dieses Ersuchen nicht, aber Stolypin, der Ministerpräsident, lehnte es schroff und kategorisch ab.

Diese abscheuliche und beleidigende Ungerechtigkeit war mehr, als ich ertragen konnte. Abgesehen davon, daß ich als Jude mich persönlich gedemütigt fühlte, empfand ich es auch als eine Kränkung des Andenkens an meinen berühmten Namensvetter, der Diskriminierung dieser Art nie geduldet hätte. Ich brütete Rache. Paul und Antek hatten den Artikel ebenfalls gelesen, und zu ihnen sagte ich nun: »Ich fahre nach Petersburg und nehme am Wettbewerb teil! Und wenn mich einer daran hindern will, mache ich einen weltweiten Skandal daraus!«

Paul sagte: »Du weißt hoffentlich, daß du noch knapp zwei Wochen Zeit hast. Wie willst du das Repertoire erarbeiten?«

»Die Musik ist mir einerlei«, versetzte ich, »ich fahre bloß aus Protest gegen Stolypin.«

Antek sagte sehr ruhig: »Ich besorge dir die Noten von den vorgeschriebenen Stücken. Komm morgen vormittag herüber und schau dir alles an. Dann können wir weiter beraten. «

Das war mir recht. Tags darauf stiftete mir Madame Moszkowska ein zweites ausgiebiges Frühstück mit Kaffee, Kuchen, Eiern und Marmelade. »Und jetzt ans Klavier mit euch«, sagte sie dann munter.

Zunächst sah ich das Rubinsteinsche Konzert in d-Moll durch, das jeder Teilnehmer zu spielen hatte. Für den Hörer klang es schwierig, war aber einfacher als ich angenommen hatte. Das übrige Pensum bildete das komplette Programm eines Klavierabends: Eine vierstimmige Fuge von Bach; eine der letzten Sonaten von Beethoven; eine der bedeutendsten Kompositionen Schumanns; eine Ballade, ein Nocturne und eine Mazurka von Chopin; eine der »Etudes d'exécution transcendante« von Liszt.


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