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- 4 - Herbert Rosendorfer, Briefe in die chinesische Vergangenheit


Wir sprachen lang über die Musik, und ich fragte viel. Herr Shi-shmi erzählte, daß der große

Meister We-to-feng dieses Stück  mit mehreren anderen für die gleiche Besetzung am Ende seines Lebens, quasi als Vermächtnis seiner Kunst für die Nachwelt verfaßt habe, als ihn das für einen Musiker wohl schrecklichste Schicksal: nämlich taub zu werden, ereilt habe. Ja, sagte Herr Shi-shmi, so viele unmusikalische Dummköpfe haben ein vorzügliches Gehör, und ausgerechnet der gewaltige We-to-feng mußte ertauben. Es sei ihm so verwehrt gewesen, jemals seine eigene Musik der Himmlischen Vierheit  und alles andere, was er in seinen späteren Jahren schuf  zu hören. Er hörte es aber mit seinem »inneren Ohr«, wie Herr Shishmi sich ausdrückte, und vielleicht erkläre sich daraus die schwebende Losgelöstheit von der irdischen Last. So sei diese Himmlische Vierheit nicht nur Musik, sondern förmlich der frei schwingende Geist der Musik in seiner ganzen Reinheit. Ich stimmte zu.

Es gäbe nun aber auch, sagte Herr Shi-shmi, noch andere gewaltige Meister, die durchaus neben Meister Weto-feng gestellt werden könnten. Das sei zwar immer alles Ansichtssache, und wenn er mir das sage, so sei das seine persönliche Meinung, die sich allerdings mit der vieler anderer Musikfreunde decke. So habe es etwa hundert Jahre vor We-to-feng einen erhabenen Meister namens Yo-yang' Se-wa-tang' Wa'ch (ein sehr langer Name) gegeben, dessen Musik äußerst schätzenswert sei. Dieser Meister Yo-yang' sei im Alter blind geworden (sonst sind Musiker in der Regel nicht blind*) und habe am Ende seines Lebens seinem Schwiegersohn eine Musik in die Feder diktiert, die vielleicht überhaupt der bis jetzt unausgelotete innerste Kern aller Musik sei. Sie heiße >Die Kunst der dahinfliehenden Notenwerte<, und man wisse gar nicht recht, mit welchen Instrumenten sie zu spielen sei. Diese Musik bestehe eigentlich bereits aus unirdischen Sphärenklängen und sei eine Art in der Seele tönende Mathematik. Dann habe etwa zur Zeit des Meisters We-to-feng, aber etwas früher als er, ein großer Meister gelebt, der Mo-tsa geheißen habe. Er sei sehr jung gestorben und habe dennoch eine Fülle von Werken hinterlassen, die oft deshalb mißverstanden würden, weil sich dort eine Welt von Dämonen hinter einer gefälligen Fassade verberge. Das gleiche gelte für einen späteren Meister, ebenfalls früh verstorben, der sich als Schüler des Meisters We-to-feng verstanden habe und Fa-shu-we hieß. Vom Meister Fa-shu-we gäbe es ein Musikstück für »Himmlische Fünfheit« mit der Bezeichnung >Die Forelle<, das er, Herr Shi-shmi, besonders liebe. Später dann habe ein großer Meister gelebt, von dem man sagen könne, er habe in gewisser Weise vollendet, was We-to-feng begonnen habe. Dieser Meister, der einen langen Bart hatte (Herr Shi-shmi zeigte mir ein Bild), sei von grimmigem Ernst gewesen; seine Musik sei Musik einer Spätzeit.

Ein Stück von ihm für die Besetzung »Himmlische Vierheit« hätten er und seine Freunde vor, das nächste Mal zu spielen. Diese Musik sei herb und bitter und wie eine Erinnerung an eine schönere Welt. Yo-yan' Wa-mas hieß dieser Meister, sei aus einer Stadt im Norden gekommen, und sei  meine er, sagte Herr Shi-shmi  der letzte der großen und erhabenen Meister gewesen.

»Gibt es heute keine Musiker mehr?« fragte ich. »Doch«, sagte er, »aber das ist alles Ansichtssache.« Er schätze zwar manches, was neuere Meister verfaßt haben, manches sei hübsch, manchem müßte man mit großem Respekt vor den Bemühungen der neueren Meister entgegentreten, aber den wahren Gipfel habe, meine er, seit dem Meister Yo-yan' Wa-mas keiner mehr erklommen.


* Im alten China waren alle Musiker blind.


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