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- 3 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


Mit einfachen Menschen darf Erika nicht verkehren, doch auf ihr Lob darf sie immer hören. Die Fachleute loben Erika leider nicht. Ein dilettantisches, unmusikalisches Schicksal hat sich den Gulda herausgegriffen und den Brendel, die Argerich und den Pollini u. a. Aber an der Kohut ging das Schicksal abgewandten Gesichts beharrlich vorüber. Das Schicksal will schließlich unparteiisch bleiben und sich nicht von einer feschen Larve täuschen lassen. Hübsch ist Erika nicht. Wollte sie hübsch sein, die Mutter hätte es ihr sofort verboten. Vergebens streckt Erika ihre Arme dem Schicksal entgegen, doch das Schicksal macht keine Pianistin aus ihr. Erika wird als Hobelspan zu Boden geschleudert. Erika weiß nicht, wie ihr geschieht, denn so gut wie die Großen ist sie schon lange.

Dann versagt Erika einmal bei einem wichtigen Abschlußkonzert der Musikakademie völlig, sie versagt vor den versammelten Angehörigen ihrer Konkurrenten und vor ihrer einzeln angetretenen Mutter, die ihr letztes Geld für Erikas Konzerttoilette ausgegeben hat. Nachher wird Erika von ihrer Mutter geohrfeigt, denn selbst musikalische Voll-Laien haben Erikas Versagen an ihrem Gesicht, wenn schon nicht an ihren Händen ablesen können. Erika hat zudem kein Stück für die breit sich dahinwälzende Masse gewählt, sondern einen Messiaen, eine Wahl, vor der die Mutter entschieden warnte. Das Kind kann sich auf diese Weise nicht in die Herzen dieser Masse schmuggeln, welche die Mutter und das Kind immer schon verachtet; haben, erstere, weil sie immer nur ein kleiner, unscheinbarer Teil jener Masse war, letztere, weil sie niemals ein kleiner, unscheinbarer Teil der Masse sein möchte.

Unter Schimpf taumelte Erika vom Podium, unter Schande empfängt sie ihre Adressatin, die Mutter. Auch ihre Lehrerin, eine ehemalige bekannte Pianistin, rügt Erika auf das heftigste wegen Konzentrationsmangels. Eine große Chance ist nicht genützt worden und kommt nie mehr zurück. Es wird bald ein Tag herannahen, da Erika von niemandem mehr beneidet wird und der Wunsch von niemand mehr ist.

Was bleibt ihr anderes übrig, als in das Lehrfach überzuwechseln. Ein harter Schritt für den Meisterpianisten, der sich plötzlich vor stammelnden Anfängern und seelenlosen Fortgeschrittenen wiederfindet. Konservatorien und Musikschulen, auch der private Musiklehrbereich, nehmen in Geduld vieles in sich auf, was eigentlich auf eine Müllkippe oder bestenfalls ein Fußballfeld gehörte. Viele junge Menschen treibt es immer noch, wie in alten Zeiten, zur Kunst, die meisten von ihnen werden von ihren Eltern dorthin getrieben, weil diese Eltern von Kunst nichts verstehen, gerade nur wissen, daß es sie gibt. Und darüber freuen sie sich so! Viele drängt die Kunst allerdings wieder von sich ab, denn es muß auch Grenzen geben. Die Grenze zwischen den Begabten und den Nichtbegabten zieht Erika besonders gern im Laufe ihrer Lehrtätigkeit, das Aussortieren entschädigt sie für vieles, ist sie doch selbst einmal als Bock von den Schafen geschieden worden. Erikas Schüler und Schülerinnen sind gröbstens aus allen möglichen Sorten zusammengemischt, und keiner hat sie vorher auch nur andeutungsweise


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