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- 2 - aus: Elfriede Jelinek, Die Klavierspielerin


Jetzt guckt schon die Nase über den Rand, nur um einen neuen Felsen erblicken zu müssen, schroffer noch als der erste. Die Eisfabrik des Ruhmes hat hier aber schon eine Filiale und lagert ihre Produkte in Blöcken ab, auf diese Weise kosten sie nicht soviel Lagerkosten. Erika leckt an einem der Blöcke und hält ein Schülerkonzert bereits für den Gewinn des Chopin-Wettbewerbs. Sie glaubt, nur Millimeter fehlen noch, dann ist sie oben!

Die Mutter stichelt Erika wegen zu großer Bescheidenheit an. Du bist immer die allerletzte! Vornehme Zurückhaltung bringt nichts ein. Man muß immer zumindest unter den ersten dreien sein, alles, was später kommt, wandert in den Müll. So spricht die Mutter, die das Beste will und ihr Kind daher nicht auf die Straße läßt, damit es an sportlichen Wettkämpfen nur ja nicht teilnimmt und das Üben vernachlässigt.

Erika fällt nicht gern auf. Sie hält sich vornehm zurück und wartet, daß andere etwas für sie erreichen, klagt das verletzte Muttertier. Die Mutter beklagt bitter, daß sie alles alleine für ihr Kind besorgen müsse, und stürzt sich jubelnd in den Kampf. Erika setzt sich nobel selbst hintan, wofür sie nicht einmal ein paar Geschenkmünzen für Strümpfe oder Unterhosen erhält. Die Mutter klappert Freunden und Verwandten, und viele sind es nicht, denn man hat sich frühzeitig vollkommen von ihnen abgesondert und auch das Kind von ihrem Einfluß abgetrennt, eifrig entgegen, daß sie ein Genie geboren habe. Sie merke es immer deutlicher, kommt aus dem Schnabel der Mutter. Erika ist ein Genie, was die Betätigung des Klaviers betrifft, nur wurde sie noch nicht richtig entdeckt. Sonst wäre Erika längst, einem Kometen gleich, über den Bergen hochgestiegen. Die Geburt des Jesusknaben war ein Dreck dagegen.

Die Nachbarn pflichten dem bei. Sie hören gern zu, wenn das Mädchen übt. Es ist wie im Radio, nur kostet es keine Gebühren. Man braucht bloß die Fenster und eventuell die Türen zu öffnen, schon dringt Klang herein und verbreitet sich wie Giftgas in die letzten Ecken und Winkel. Die über Lärm empörte Umwelt spricht Erika auf Wegen und Stegen an und bittet um Ruhe. Die Mutter spricht zu Erika von der nachbarlichen Begeisterung wegen hervorragender Kunstausübung, Erika wird von einem schütteren Bächlein mütterlicher Begeisterung dahingetragen wie ein Patzen Spucke. Später wundert sie sich, wenn ein Anrainer sich beklagt. Von Klagen hat ihr die Mutter nie etwas berichtet!

Im Lauf der Jahre übertrifft Erika ihre Mutter noch darin, wenn es gilt, auf jemanden herabzusehen. Auf diese Laien kommt es letztlich nicht an, Mama, ihr Urteil ist roh, auch ihr Empfinden nicht ausgereift, nur die Fachleute zählen in meinem Beruf. Die Mutter entgegnet: Spotte du nicht des Lobes einfacher Menschen, die mit dem Herzen Musik hören und sich daran mehr freuen als die Überzüchteten, Verwöhnten, Blasierten. Die Mutter versteht selbst nichts von Musik, doch sie zwingt ihr Kind ins Geschirr dieser Musik. Es entwickelt sich ein fairer Rachewettkampf zwischen Mutter und Kind, denn das Kind weiß bald, daß es über seine Mutter musikalisch hinausgewachsen ist. Das Kind ist der Abgott seiner Mutter, welche dem Kind dafür nur geringe Gebühr abverlangt: sein Leben. Die Mutter will das Kinderleben selbst auswerten dürfen.


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