- 37 -Behrendt, Frauke: Handymusik 
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Bis zur Verbreitung des Mobiltelefons war Telefonieren eine private, eine »intime Praxis«.59
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Burkart 2002, S. 149
Man telefonierte zu Hause, in einem geschlossenen Raum, meist bei geschlossener Tür. Nur geschäftliche Telefonate wurden teilweise im Beisein anderer geführt, beispielsweise im Großraumbüro. Telefonieren konnte man aber natürlich auch in der Öffentlichkeit: in der Telefonzelle. Wie am Namen ›Zelle‹ schon zu erkennen ist, handelte es sich dabei um einen abgeschlossenen Raum, in dem man ungestört und vor allem ungehört sprechen konnte. Wenn man sich dagegen heutige öffentliche Fernsprecher ansieht60
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Falls man überhaupt noch einen zu sehen bekommt, denn im Handyzeitalter hat die Telefonzellendichte rapide abgenommen.
, fällt auf, dass es diesen vor fremden Ohren geschützten Ort nicht mehr gibt, statt dessen wurden zu allen Seiten offene Säulen mit Telefonapparaten aufgestellt. Wie kommt es, dass sich darüber niemand beschwert, dass es nicht mal jemandem auffällt? Der Grund ist, dass wir uns so daran gewöhnt haben, Menschen mit Mobiltelefonen lauthals in der Öffentlichkeit telefonieren zu sehen und vor allem zu hören. Durch das Handy wurde Telefonieren zur »öffentlichen Praxis«61
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Burkart 2002, S. 149
. Oft wird man unfreiwillig Zeuge äußerst privater Telefongespräche, etwa weil der Sitznachbar im Zug völlig ungehemmt mit seiner Freundin telefoniert. Vor einigen Jahren stieß dieses Verhalten auf starke Ablehnung – oder wurde zumindest mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Für intime Kommunikation ohne Zuhörer hat sich ein neues Medium gefunden: die SMS.62
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Dies kann als Entwicklung in Richtung einer Unterscheidung in Literalität für Intimes und Oralität für Nicht-Intimes gelesen werden. Vgl. Krommer, Axel: Telefonie und Idiotie. Literarische und medientheoretische Marginalien zur Mobilkommunikation. in: Telepolis. Magazin für Netzkultur. http://www.heise.de/tp/deutsch/special/med/14972/1.html, 15.06.2003 (Stand 08.08.2003)
Kurznachrichten werden auch von vielen Künstlern in ihren Werken genutzt, zum Beispiel als zentraler Werkbestandteil bei Text.FM.63
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Vgl. Burkart 2002, S. 149
Doch durch den Gebrauch des Mobiltelefons verwischt nicht nur die Grenze zwischen Öffentlich und Privat zusehends, analog dazu verschwimmt die Trennungslinie zwischen Berufs- und Privatleben.64
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Vgl. Gant, Diana und Kiesler, Sara: Blurring the Boundaries: Cell Phones, Mobility, and the Line between Work and Personal Life. In: Brown, Harry u.a.(Hg.): Wireless World. Social and Interactional Aspects of the Mobil Age. Springer, London, 2002, S. 121 ff.
Die technische und die gesellschaftliche Entwicklung gehen dabei Hand in Hand: Der flexible, globalisierte Kapitalismus benötigt immer und überall verfügbare und erreichbare Mitarbeiter – und das Mobiltelefon ermöglicht dies.

Alles zuvor genannte kann man unter dem Themenkomplex Grenzverlust zwischen Privat und Öffentlich zusammenfassen. Das Handy steht mit dieser Entwicklung in einer längeren Tradition: Schon der Walkman war ein Produkt in einer langen Linie von technischen Innovationen, die die Unterteilung in privaten und öffentlichen Raum herausforderten. Für den Walkman wurde bereits die Art und Weise untersucht, »in which the Walkman use breaks with established representations of public and private space and how its status as ›matter put out of place‹ – being both public and private at the same time and hence neither simply public nor simply private – leads to attempts by institutions to regulate its usage.«65

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du Gay, Paul u.a.: Doing Cultural Studies. The Story of the Sony Walkman, London [u.a.], 1996. S. 5
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