Der Zufall ist ein sehr zentrales Element des Werks, es ist ein »alleatorisches
Konzert.«77
Das ist nicht gleichbedeutend mit einer »zufälligen Kakophonie«, da das Werk nur
innerhalb der Vorgaben der Künstler dem Zufall überlassen bleibt. Das Zufällige,
Unvorhersehbare, Unkontrollierte ist für Ole Frahm genau das was das Radiohören
ausmacht: »Wir wollen eine abstrakte Klangarbeit darüber machen, was Radiohören
bedeutet.«78
Der Gedanke des Handys als Instrument wird auch bei Wählt die Signale! explizit gemacht: »Wir wollen
ein ganz neues,«79
ein »dionysisches« Instrument bauen, kündigt Ligna an. Die Saiten des Instrumentes
sind die Handys in der Galerie der Gegenwart, diese werden von den Tasten der
Mobiltelefone der Teilnehmenden zum Klingen gebracht und dann im Radio hörbar
gemacht. Das Instrument ist also zerstückelt in »144 Handys, deren Signale, die Tasten
der Telefone der AnruferInnen, die unzugängliche technische Schaltung, die bestimmt,
wann die Handys bei Anruf klinge(l)n, [und] die Radios.« Das Tippen der Telefontasten,
das Wählen einer Telefonnummer wird so zur musikalischen Aktivität: »Telefonieren
wird zu einer neuen Praxis: komponieren.« Komposition umfasst laut Glossar des
Programmheftes die Programmierung der Handys und die Assoziation im Konzert –
wobei Assoziation wiederum definiert wird als »musikalische und technische
Struktur, das Mehr des Klangs, des Kollektivs.« Hier zeigt sich ein Merkmal von
Klangkunst80 :
Die Trennung zwischen Komposition und Aufführung wird aufgelöst, beide sind ohne
einander nicht mehr denkbar, werden eins. Das klassische, passive Zuhören funktioniert
hier nur bedingt. Jeder soll aktiv in das Werk eingreifen, oder vielmehr das Werk
überhaupt erst entstehen lassen, also anrufen und wählen. Was geschieht im Werk? Das
können weder die Künstler noch die Teilnehmer vorhersehen, es ergeben sich immer neue
Assoziationen zwischen allen Beteiligten, den Handys, Radios und dem Lichthof (mit
seinem Raumklang).
Schon der Titel, eine Assoziation zur ›Internationalen‹ (»Völker hört die
Signale . . . «) unterstreicht das neben dem künstlerischen stark vorhandene politische
Interesse der Gruppe Ligna. Das Radio als Distributionsapparat soll im Sinne Brechts
dafür eingesetzt werden die Massen zu organisieren. Dass diese Organisation nicht
kommunistischer Natur ist, wie es damals Brechts Anliegen war, liegt auf der Hand. Es
geht Frahm, Hüners und Michalesen vielmehr darum die Zerstreuung der Hörer
an ihren Radiogeräten zu thematisieren, diese Zerstreuung zu nutzen und zu
genießen.81
Die politische Motivation der Künstler wird trotzdem deutlich: die unkontrollierbare
Zukunft soll bejaht werden. »Wie diese Bejahung politisch wirksam werden kann? Wählt
die Signale! Assoziiert Euch!«
Die Teilnehmer kommunizieren mit ihren Handys nicht miteinander wie in einer
normalen Telefonsituation, sondern sie »strahlen getrennt voneinander gemeinsam aus.«
Das Handy ist hier aber nicht notwendigerweise das Eingabe- beziehungsweise
Partizipationsmedium der Zuschauer. Es macht keinen Unterschied, ob man von einem
Festnetzanschluss oder einem Mobiltelefon aus eine der Nummern wählt und so am Werk
teilnimmt. Handymusik ist das Werk deshalb, weil Handys angerufen
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