- 43 -Behrendt, Frauke: Handymusik 
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Der Zufall ist ein sehr zentrales Element des Werks, es ist ein »alleatorisches Konzert.«77
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Scheide 2003, S. 55
Das ist nicht gleichbedeutend mit einer »zufälligen Kakophonie«, da das Werk nur innerhalb der Vorgaben der Künstler dem Zufall überlassen bleibt. Das Zufällige, Unvorhersehbare, Unkontrollierte ist für Ole Frahm genau das was das Radiohören ausmacht: »Wir wollen eine abstrakte Klangarbeit darüber machen, was Radiohören bedeutet.«78
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Scheide 2003, S. 55

Der Gedanke des Handys als Instrument wird auch bei Wählt die Signale! explizit gemacht: »Wir wollen ein ganz neues,«79

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Scheide 2003, S. 55
ein »dionysisches« Instrument bauen, kündigt Ligna an. Die Saiten des Instrumentes sind die Handys in der Galerie der Gegenwart, diese werden von den Tasten der Mobiltelefone der Teilnehmenden zum Klingen gebracht und dann im Radio hörbar gemacht. Das Instrument ist also zerstückelt in »144 Handys, deren Signale, die Tasten der Telefone der AnruferInnen, die unzugängliche technische Schaltung, die bestimmt, wann die Handys bei Anruf klinge(l)n, [und] die Radios.« Das Tippen der Telefontasten, das Wählen einer Telefonnummer wird so zur musikalischen Aktivität: »Telefonieren wird zu einer neuen Praxis: komponieren.« Komposition umfasst laut Glossar des Programmheftes die Programmierung der Handys und die Assoziation im Konzert – wobei Assoziation wiederum definiert wird als »musikalische und technische Struktur, das Mehr des Klangs, des Kollektivs.« Hier zeigt sich ein Merkmal von Klangkunst80
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Vgl. Kapitel 5
: Die Trennung zwischen Komposition und Aufführung wird aufgelöst, beide sind ohne einander nicht mehr denkbar, werden eins. Das klassische, passive Zuhören funktioniert hier nur bedingt. Jeder soll aktiv in das Werk eingreifen, oder vielmehr das Werk überhaupt erst entstehen lassen, also anrufen und wählen. Was geschieht im Werk? Das können weder die Künstler noch die Teilnehmer vorhersehen, es ergeben sich immer neue Assoziationen zwischen allen Beteiligten, den Handys, Radios und dem Lichthof (mit seinem Raumklang).

Schon der Titel, eine Assoziation zur ›Internationalen‹ (»Völker hört die Signale . . . «) unterstreicht das neben dem künstlerischen stark vorhandene politische Interesse der Gruppe Ligna. Das Radio als Distributionsapparat soll im Sinne Brechts dafür eingesetzt werden die Massen zu organisieren. Dass diese Organisation nicht kommunistischer Natur ist, wie es damals Brechts Anliegen war, liegt auf der Hand. Es geht Frahm, Hüners und Michalesen vielmehr darum die Zerstreuung der Hörer an ihren Radiogeräten zu thematisieren, diese Zerstreuung zu nutzen und zu genießen.81

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Scheide 2003, S.55
Die politische Motivation der Künstler wird trotzdem deutlich: die unkontrollierbare Zukunft soll bejaht werden. »Wie diese Bejahung politisch wirksam werden kann? Wählt die Signale! Assoziiert Euch!«

Die Teilnehmer kommunizieren mit ihren Handys nicht miteinander wie in einer normalen Telefonsituation, sondern sie »strahlen getrennt voneinander gemeinsam aus.« Das Handy ist hier aber nicht notwendigerweise das Eingabe- beziehungsweise Partizipationsmedium der Zuschauer. Es macht keinen Unterschied, ob man von einem Festnetzanschluss oder einem Mobiltelefon aus eine der Nummern wählt und so am Werk teilnimmt. Handymusik ist das Werk deshalb, weil Handys angerufen


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