- 45 -Behrendt, Frauke: Handymusik 
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die Kontrolle darüber ab, was während des Werks passiert. Eine Ähnlichkeit zu Dialtones ist insofern gegeben, als dass dort die Telefon-Kommunikation in dem Sinne ad absurdum geführt wurde, dass das Publikum zwar angerufen wurde, aber nicht an die klingelnden Handys gehen sollte. Bei Wählt die Signale! ist diese Absurdität genau umgekehrt, die Teilnehmenden rufen Mobiltelefone an, die dann laut klingeln, an denen aber niemand abnimmt. Bei Dialtones wurde das Publikum angerufen – bei Wählt die Signale! ruft es an. Das Werk ist auch in der Tradition von Radiokunst zu sehen. Es erinnert an die Werke des Klangkünstlers Max Neuhaus: Public Supply (1966) oder Radio Net (1977) experimentieren in musikalischer Form mit dem öffentlichen Zugriff auf den Äther.87
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Föllmer, Golo: Musikmachen im Netz. Elektronische, ästhetische und soziale Strukturen einer partizipativen Musik. Dissertation Universität Halle-Wittenberg, 2002, S. 70 ff.

5.4.3.  Gesellschaftlicher Diskurs: Individualität und Kollektivität

Das Handy wird allgemein als das typische Medium des individualistischen Zeitalters charakterisiert, es scheint ein ideales Phänomen der Individualisierung der Gesellschaft zu sein. Ein Mobiltelefon gehört immer nur einer Person, im Gegensatz zum Festnetzanschluss, der üblicherweise von einer Familie oder einer Wohngemeinschaft geteilt wird. Da es nur einen Besitzer hat, kann dieser das Gerät nach seinen Vorstellungen gestalten. Man überlegt sich lange für welches Modell man sich entscheidet. Man kann sich einen eigenen Klingelton einstellen, ein spezielles Logo auf dem Bildschirm haben. Bei vielen Geräten kann auch die Oberschale ausgewechselt werden, um das Mobiltelefon von den Standardmodellen abzuheben. Diese Personalisierung des Handys zeigt an wie wichtig den Menschen ihr Mobiltelefon geworden ist. Es stellt nicht mehr nur die Verbindung zu unseren Freunden her, es ist selbst unser Freund geworden, um dessen Verlust wir trauern.88

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Vgl. Hall 2002
Sein Verlust ist oft schlimmer als das Verlieren des Portemonnaies, weil so viele persönliche Informationen und Kontakte zu Freunden verloren sind.89
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Auch ein leerer Handyakku ist oft schon eine mittlere Katastrophe: Wenn die Energie ausgeht ist keine Kommunikation mehr möglich, es droht ein »kleiner sozialer Tod«. Richard, Birgit: Die oberflächlichen Hüllen des Selbst. Mode als ästhetisch-medialer Komplex. In: Richard, Birgit (Hg.): Die Hüllen des Selbst. Mode als ästhetisch-medialer Komplex, in: Kunstforum International, Band 141, Juli-September 1998, S. 94
Die lange Zeit, die mit ihm und seiner Personalisierung verbracht wurde, die lange Zeit, die es in unserer Hand und Nähe verbrachte macht diesen Verlust schon fast physisch spürbar.90
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Mehr zur Köpernähe des Handys, zum Mensch mit seinem Handy als Cyborg vgl. Kapitel 5.5.3
Wie ein Tamagotschi, das gefüttert werden muss,91
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Der Gameboy war eines der ersten Geräte überhaupt, die den Ort des Displays auf die Handfläche verlegten, später folgte das Tamagotschi, schließlich das Handy. [Vgl. Lichty, Patrick: Building a Culture of Ubiquity. Homepage Patrick Lichty, 2001, http://www.voyd.com/ia/essaylichty.htm] (Stand 08.08.2003)]
bekommt das Handy ständig unsere Aufmerksamkeit. Das Handy ist der alltägliche Begleiter des individuellen, mobilen Menschen. Im Werk Wählt die Signale! kann man aber einen gänzlich anderen Gebrauch des Handys beobachten: Das Handy wird dazu genutzt gemeinsam

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