Estrada richteten. Als die dafür ursächlichen Korruptionsvorwürfe gegen Estrada
immer lauter wurden, nutzten die Philippinos Telefonketten, um per SMS schnell
Massendemonstrationen organisieren zu können. Auch während der Demonstrationen
wurden Handys genutzt, um die Massen bei der Flucht vor der Polizei zu
organisieren.98
Auch bei den Anti-WTO-Demonstrationen 1999 in Seattle wurden schon Mobiltelefone
genutzt um mit ›Schwarm-Taktiken‹ die Polizei zu überraschen und ihr immer wieder zu
entkommen. Die Massen zerstreuten sich immer wieder – um sich an anderer Stelle neu zu
formieren. Vgl. Rheingold, 2002, S. 158 ff.
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Die durch mobile Kommunikation organisierte Massenbewegung erreichte die Absetzung und
Anklage des Präsidenten (der aus dem Gefängnis als erstes lange Interviews gab – mit seinem
Handy).99
Aktuell findet in der Presse das Phänomen der ›Flash mobs‹ viel Beachtung.
Per Email, SMS oder Web-Forum werden Ort, Zeitpunkt, Dauer und Aktion
vorgegeben. Für Unbeteiligte äußerst überraschend, beginnt der ›Mob‹ dann an
einem öffentlichen Ort auf die Sekunde genau, wie im Netz veröffentlicht, zu
klatschen, in die Luft zu starren, Worte auszurufen oder ähnliches. Nach maximal
zehn Minuten ist der ›Spuk‹ vorbei und die unbekannte Masse verstreut sich
wieder.100
Die Organisation erfolgt derzeit noch hauptsächlich durch Email und
Internet,101
Diese für das Phänomen eher unpraktische Mobilisierungsform lässt sich durch die Herkunft
erklären: die ersten Flash Mobs gab es in den USA, wo SMS nicht sehr verbreitet ist.
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zunehmend aber auch durch Handys und SMS. Bisher handelt es sich
unter der Bezeichnung ›Flash Mob‹ um ein erklärtermaßen sinnfreies
Spaß-Phänomen.102
Politisches Potential ist aber, wie zuvor beschrieben, vorhanden. Die Aktionen können
auch als künstlerische Intervention im öffentlichen Raum verstanden werden,
beispielsweise als kleine dadaistische Happenings.
Doch so brandneu, wie das Phänomen gerade in der Presse dargestellt wird, ist das
Phänomen nicht. Die Künstlergruppe Ligna hat am 05. Mai 2002 im Hamburger
Hauptbahnhof das Radio Ballet inszeniert. Über 300 Menschen eroberten sich den
privatisierten Raum des Bahnhofs zurück, in dem sie mit ihrem Transistorradio bzw.
Radio-Walkman (oder Handy mit integiertem Radio) der vor Ort per Handy und Radio
produzierten Sendung der Gruppe Ligna auf dem Sender FSK lauschten und den dort
gegebenen Handlungsanweisungen folgten. 49 Minuten lang führten die im
Gebäude verteilten Teilnehmenden stumm alle gleichzeitig, wie ferngesteuert die
gleichen Gesten aus: Die Hand zum Gruß ausstrecken beispielsweise – was sich nur
durch die anschließende Drehung der Handfläche in eine an der Örtlichkeit
unerlaubte Geste des Bettelns verwandelte. Die Intervention gegen die Privatisierung
des öffentlichen Raumes wurde gegen den Widerstand der klagenden Bahn
AG und der Ordnungskräfte erfolgreich durchgeführt und am Ende stürmisch
beklatscht.103
Der Topos des verstreuten Einzelnen und des Kollektivs, des mit mobiler
Kommunikationstechnologie ausgestatteten Individualisten, der mit anderen gemeinsam
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