- 47 -Behrendt, Frauke: Handymusik 
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Estrada richteten. Als die dafür ursächlichen Korruptionsvorwürfe gegen Estrada immer lauter wurden, nutzten die Philippinos Telefonketten, um per SMS schnell Massendemonstrationen organisieren zu können. Auch während der Demonstrationen wurden Handys genutzt, um die Massen bei der Flucht vor der Polizei zu organisieren.98
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Auch bei den Anti-WTO-Demonstrationen 1999 in Seattle wurden schon Mobiltelefone genutzt um mit ›Schwarm-Taktiken‹ die Polizei zu überraschen und ihr immer wieder zu entkommen. Die Massen zerstreuten sich immer wieder – um sich an anderer Stelle neu zu formieren. Vgl. Rheingold, 2002, S. 158 ff.
Die durch mobile Kommunikation organisierte Massenbewegung erreichte die Absetzung und Anklage des Präsidenten (der aus dem Gefängnis als erstes lange Interviews gab – mit seinem Handy).99
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Vgl. Katz 2002, S. 2 f.

Aktuell findet in der Presse das Phänomen der ›Flash mobs‹ viel Beachtung. Per Email, SMS oder Web-Forum werden Ort, Zeitpunkt, Dauer und Aktion vorgegeben. Für Unbeteiligte äußerst überraschend, beginnt der ›Mob‹ dann an einem öffentlichen Ort auf die Sekunde genau, wie im Netz veröffentlicht, zu klatschen, in die Luft zu starren, Worte auszurufen oder ähnliches. Nach maximal zehn Minuten ist der ›Spuk‹ vorbei und die unbekannte Masse verstreut sich wieder.100

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Sixtus, Mario: FLASH MOBS. Wenn dir plötzlich Hunderte applaudieren, Spiegel Online, http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,258913,00.html, 28.07.2003 (Stand 08.08.2003)
Die Organisation erfolgt derzeit noch hauptsächlich durch Email und Internet,101
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Diese für das Phänomen eher unpraktische Mobilisierungsform lässt sich durch die Herkunft erklären: die ersten Flash Mobs gab es in den USA, wo SMS nicht sehr verbreitet ist.
zunehmend aber auch durch Handys und SMS. Bisher handelt es sich unter der Bezeichnung ›Flash Mob‹ um ein erklärtermaßen sinnfreies Spaß-Phänomen.102
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Vgl. Wu, Hans: Flash Mobs: Fluch oder Segen? Webseite Radiosender FM4 (ORF), http://fm4.orf.at/hanswu/121297/main, 25.7.2003 (Stand 08.08.2003)
Politisches Potential ist aber, wie zuvor beschrieben, vorhanden. Die Aktionen können auch als künstlerische Intervention im öffentlichen Raum verstanden werden, beispielsweise als kleine dadaistische Happenings.

Doch so brandneu, wie das Phänomen gerade in der Presse dargestellt wird, ist das Phänomen nicht. Die Künstlergruppe Ligna hat am 05. Mai 2002 im Hamburger Hauptbahnhof das Radio Ballet inszeniert. Über 300 Menschen eroberten sich den privatisierten Raum des Bahnhofs zurück, in dem sie mit ihrem Transistorradio bzw. Radio-Walkman (oder Handy mit integiertem Radio) der vor Ort per Handy und Radio produzierten Sendung der Gruppe Ligna auf dem Sender FSK lauschten und den dort gegebenen Handlungsanweisungen folgten. 49 Minuten lang führten die im Gebäude verteilten Teilnehmenden stumm alle gleichzeitig, wie ferngesteuert die gleichen Gesten aus: Die Hand zum Gruß ausstrecken beispielsweise – was sich nur durch die anschließende Drehung der Handfläche in eine an der Örtlichkeit unerlaubte Geste des Bettelns verwandelte. Die Intervention gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes wurde gegen den Widerstand der klagenden Bahn AG und der Ordnungskräfte erfolgreich durchgeführt und am Ende stürmisch beklatscht.103

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Ligna: Radio-Ballet. Webseite des Senders FSK, http://www.fsk-hh.org/akt/0206ballet.html (Stand 08.08.2003)
Der Topos des verstreuten Einzelnen und des Kollektivs, des mit mobiler Kommunikationstechnologie ausgestatteten Individualisten, der mit anderen gemeinsam

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