- 15 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
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bar auf den zweiten Platz in der Wahrnehmungshierarchie verdrängt wird, von größerem Einfluß als man gemeinhin annimmt. Man unterziehe sich nur einmal dem Experiment, Werbespots und Filme ohne Musik bzw. Soundtrack anzuhören – schlagartig wird deutlich, daß wesentliche Inhalte offenbar nur über die Hilfe oder Mithilfe der jeweiligen Musik zu transportieren sind.

Insofern und in weitestem Zusammenhang ist Global Music natürlich eine Selbstverständlichkeit, denn alle bekannten Kulturen der Menschen haben in irgendeiner Weise akustisch-musikalische Ausdrucksformen entwickelt; manche Forscher vertreten sogar den Standpunkt, daß rhythmische und einfach intervallisch-melodische Ausdrucksformen onto- und phylogenetisch noch vor dem Erwerb der Sprache stattfinden bzw. stattfanden. Die Beobachtung kleiner Kinder bestätigt dies eindrücklich.

Allerdings müssen wir korrekterweise hier auch anfügen, daß zwar aus unserer Sicht alle Kulturen in irgendeiner Form über Musik verfügen, daß es aber darunter Kulturen gibt, die über gar kein eigenes Wort für „Musik“ verfügen. Statt dessen gibt es in diesen Kulturen Bezeichnungen für Rituale, die jeweils eine bestimmte Musik und Musizierweise untrennbar beinhalten – die jeweilige Musik kann nicht ohne das dazugehörige Ritual, das Ritual nicht ohne Musik gedacht, geschweige denn aufgeführt werden. Auch in der europäischen Kultur hat es durchaus vergleichbares gegeben: religiös gebundene Musik außerhalb des Gottesdienstes aufzuführen oder auf CD zum beliebigem Konsum zu kaufen, ist erst in unserem Jahrhundert ohne weiteres möglich geworden.

Wenn das Wort „Musik“ gar nicht so selbstverständlich auf andere Kulturen übertragbar ist, sollten vielleicht auch die anderen Komponenten unseres Schlagwort-Themas daraufhin untersucht werden, inwieweit auf sie selbst überhaupt zutrifft, was sie behaupten, also: Inwieweit sind Global Village, Global Brain, Global Music Träger für Bedeutungen, die tatsächlich auf dem ganzen Globus eindeutig verstanden werden?

Oder, provokanter formuliert: Ist unsere Vorstellung von einer weltweiten Kultur des vernetzten Denkens und der „Weltmusik“ vielleicht nur ein Relikt unbewußter Projektionen, entstanden durch unsere Unfähigkeit zu begreifen, daß westliche Denkweisen und westliche Kultur keineswegs mehr so weltweit dominierend sind, wie es Anfang des Jahrhunderts noch selbstverständlich war (selbst für Angehörige der kolonialisierten Völker) und heute noch zumindest uns so scheint? Sind wir nicht vielleicht schon längst in einer Verteidigungssituation, in der afrikanische und asiatische Kulturen zum Gegenschlag (im hoffentlich nichtmilitärischen Sinne) ausholen und der westlichen Kultur bewußt ihre eigene Tradition entgegensetzen – dem vielzitierten „clash of civilisations“, wie er von Samuel Huntington3

3
Huntington 1996, The Clash of Civilisations. Dt. 1996: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. Europaverlag München-Wien.
formuliert worden ist?

Ist die Metapher vom Global Village heute Beinahe-Realität, ist sie nur eine Medien-Realität, oder ist sie überhaupt nur eine aus westlichem Wunschdenken entstandene Fiktion?

Und, wenn wir vom Global Brain sprechen und ich „brain“ hier einmal synonym mit „Denken“ setzen darf, meinen wir vielleicht in erster Linie ein westliches Den-


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