- 96 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

zur Herstellung von spezifischen Gemeinsamkeiten in den jeweils überschaubaren Populationen ein Diskurs notwendig ist.

Appadurai nennt in diesem Zusammenhang begründete Belege dafür, daß die Nationalstaaten am Ende sind und ein „ethnonationalisme“ im Kommen ist (1996, S. 20–21). Es ist die Regionalisierung, die in Zukunft verstärkt zu erwarten ist. Die Konzentration auf kleinere soziale Einheiten als Folge der Öffnung nach allen Seiten, als Folge der Grenzenlosigkeit, die durch die Globalisierung gegeben ist, stellt auch R. Schmidt (2000) fest. Die Relativierung der eigenen Kultur verursacht eine Standortsuche und Rückbesinnung auf das Eigene.

Ein weiteres Element der Gemeinsamkeit und Vertrautheit in der Musik

Ein gleichmäßiger, durchgehender rhythmischer Puls vermittelt gleichfalls das Gefühl, in das gemeinsame Geschehen hineingenommen zu sein. Er muß dazu den physiologischen Bedingungen (Puls 60 bis 80 pro Minute) genügen. Er löst angenehme Körpergefühle aus (Karajan 1982), wenn er beim Dirigieren sich mit den Pulsationen (der Akzentstufen) des Taktes synchronisiert. Der mitgedachte, mitgefühlte Puls der Musik hat offensichtlich eine nachweisbare neurophysiologische Basis, die mit hoher Präzision den Takt schlägt. Raimund Brix (1989) konnte in neuropsychologischen Studien zur Rhythmuswahrnehmung den Grundpuls der Musik aus den EEG-Ableitungen der Hörer extrahieren.

Wenn sich ein in der Musik durchlaufender Akzent im Rahmen der physiologischen Bedingungen bewegt, weckt er auch den Wunsch, den Körper im Rhythmus mitschwingen zu lassen oder ihn tanzend dazu zu bewegen. Eine Kultur, die elementare Gefühlsäußerungen zuläßt, nicht nur überformte und stilisierte Affektbewegungen fordert, wird den Menschen die Chance eröffnen, ihrer Freude an rhythmischer Bewegung durch Tanzen oder andere rhythmische Bewegungen Ausdruck zu verleihen.

Pulsierende Bewegung in der Musik ist somit ein Element, das es zu erhalten oder wiederzugewinnen gilt, je nachdem, ob es in der eigenen Tanzkultur gepflegt oder unterdrückt ist. Es ist somit ein Regulativ, vielleicht sogar ein Entscheidungsfaktor, wenn es darum geht, ob und in welchem Umfang die nah- und fernöstlichen sowie die afrikanischen Kulturen die westliche Popkultur in wesentlichen Bestandteilen oder ganz in ihre Musikformen übernehmen.

Aus den bisherigen Betrachtungen folgt daher die These: je weniger die traditionelle Musik dem durch den rasanten technischen Fortschritt veränderten Lebensgefühl des Menschen entspricht, je weniger sie von ihrem Charakter her die Bedürfnisse nach Ausdruck und Bewegung des Menschen erfüllt, desto mehr wird sie vollständig abgelegt. Um so mehr wird die importierte Musikkultur dann unverändert übernommen und dementsprechend wird um so weniger traditionell Eigenständiges in die importierte adaptierte Musik eingebracht. Umgekehrt gilt, daß bei vielen intakten Lebensformen das Eigenständige so stark ist, daß es die importierte Kultur zu prägen vermag. Hier finden wir die unverwechselbaren regionalen Idiome.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (95)Nächste Seite (97) Letzte Seite (507)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 96 -Enders, Bernd / Stange-Elbe, Joachim (Hrsg.): Global Village - Global Brain - Global Music