- 67 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Johannes Fritsch


Live-elektronische Musik

Musiker und Instrument im Zeitalter der Elektronik



Musik wird durch die Ohren sinnlich wahrgenommen. Bisher hatte auch ihre Erzeugung mehr oder weniger mit dem menschlichen Körper zu tun. In der Geschichte der Musikinstrumente hat sich mit zunehmender Spezialisierung und Differenzierung auch der Abstand zwischen Mensch und Instrument, der Grad der Entfremdung, vergrößert: Beim Sänger und Tänzer im ursprünglichen Ritual noch Einheit von Subjekt und Objekt. Dann die allmähliche Entwicklung von "natürlichen" Instrumenten, die geschlagen, geblasen, gezupft und gestrichen werden. Einfache Hilfsmittel wie Mundstücke oder Schlegel wirken wie verlängerte Körperteile. Die Distanz des musizierenden Bewußtseins zu den erzeugten Klängen ist noch so gering, daß sie - ungeachtet der musiksprachlichen Komplexität - überwindbar bleibt, daß die Klänge selbst geprägt werden von Gedanken und Empfindungen, auch von unmittelbaren unbewußten Regungen des Menschen, der sie erzeugt.

Das ändert sich mit den elektronischen Instrumenten, die durch Standardisierung die Klänge zunehmend vereinfachen und ärmer machen. Es ist kein Fortschritt vom Klavier zum Keyboard. Die vieltausendjährige Tradition des Musikinstrumentenbaus war geprägt von Musikern, die Musik machen wollten. Heute ist es der Industrie gleichgültig, ob sie ihr Geld mit Motorrädern oder Synthesizern verdient.

Mit der zunehmenden Entfremdung des musizierenden Menschen vom Klang geht eine zunehmende Brutalisierung Hand in Hand: der Keyboard-Spieler, der mit Synthesizer und Emulator künstliche Klänge durch den digitalen Hallraum sausen läßt, entspricht dem emotional verkümmerten Krieger, der auf Knopfdruck die Bombe losschickt.

Trotz dieser negativen Argumente scheint die Digitalisierung auch im Bereich der Künste weiterhin ungebremst im Vormarsch: weil der Anteil des Maschinenkapitals wachsen muß, verringert sich der Anteil des Menschen am Produktionsprozeß. Die von internationalen Konzernen übernommene massenhafte Bedürfnisbefriedigung in den Bereichen, die früher Kunst hießen, ist durch Vereinfachung, Standardisierung, Bildhaftigkeit, Eklektizismus und regressive Reizüberflutung gekennzeichnet. Die künstliche Intelligenz schafft künstliche Paradiese. Der kollektive Wohlfahrtswillen braucht keine individuelle Kunst.

Im Bewußtsein dieses Dilemmas gibt es für den kritischen Komponisten mehrere Möglichkeiten, Widerstand zu leisten. Die wichtigste Form der Auseinandersetzung mit der Elektronik ist für den Musiker die Verwendung der Möglichkeiten, die sein Instrumentarium real erweitern.

Die elektronischen Medien der Musik lassen sich einteilen in klangerzeugende, klangverarbeitende und klangspeichernde. Die Klangerzeuger sind den traditionellen


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