- 74 -Enders, Bernd (Hrsg.): KlangArt-Kongreß 1993: Neue Musiktechnologie II 
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Wolfgang Martin Stroh


Das MIDI-Planetarium

Zur Revision harmonikaler Vorstellungen von Sphärenmusik



Abstract


MIDI-Planetarium ist ein Programm, das MIDI-Ereignisse erzeugt, die den Positionen von "Punkten" (d.h. Planeten) auf einem Kreis (hier: Tierkreis) entsprechen und Hans Coustos "Oktavengesetz" anwendet: Rhythmen und Frequenzen sind "Oktaven" der Periodizität eines Planeten. Das MIDI-Planetarium ist ein Werkzeug, das die holistische Verankerung des Menschen in den Kosmos untersucht. Die Hypothese lautet, daß die Zuhörer bei einem Konzert mit dem MIDI-Planetarium die Erfahrung einer nichtharmonischen, "höheren" musikalischen Ordnung erfahren.



1. Die Idee der Sphärenmusik


Johannes Kepler hat in seinen Harmonices Mundi

Johannes Kepler, Harmonices Mundi, Frankfurt 1619, deutsche Ausgabe übersetzt

 und herausgegeben von Max Caspar, Berlin 1939


gesagt: Wie schön müßten die Sterne klingen, wenn wir sie hören könnten. Er war - mit uns allen, die wir aufgeklärt sind - der Meinung, daß Sphärenmusik nicht gehört werden kann. Pythagoras (6. Jahrhundert v. Chr.) soll, seinem Biographen Iamblichos (325 n.Chr.) zufolge, zwar in der Lage gewesen sein, den "Wettgesang der Sphären" zu hören. Er hat Lieder gemäß diesen Vorgaben gesungen und seine Schüler dadurch von allerlei psychischen und physischen Leiden befreit. Iamblichos sagt aber auch, daß Pythagoras täglich meditieren (seinen Geist so wie ein Sportler seinen Körper trainieren) mußte, um die Sphärenmusik zu vernehmen.

Iamblichos, De vita Pythagorica, München, Zürich o.J., übersetzt von Michael Albrecht, S. 69.


Betrachtet man die pythagoreischen Modelle der Sphärenmusik, so wird deutlich, daß diese nicht die heilenden Gesänge selbst, sondern den Rahmen des herrschenden Harmoniebegriffs vorgaben.

Alles in allem ist die Sphärenmusik von der Antike bis in die Neuzeit nicht als konkret klingende Musik, sondern als eine durch menschliche Anstrengung zu erlangende Einsicht in das Wesen der Musik oder in das Wesen des Kosmos zu verstehen. Dies "oder" verbindet allerdings zwei konträre Herangehensweisen: das eine Mal - und so wird Pythagoras bis heute überwiegend rezipiert - soll die kosmische Ordnung eine herrschende Musikpraxis legitimieren; das andere Mal soll Musik geschaffen werden, die es den Menschen ermöglicht, den Kosmos und damit auch sich selbst besser zu verstehen.


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