- 105 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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traurig-melancholische Schönheit (Take 10), die Solo-Gitarre ruft Assoziationen von Einsamkeit hervor (Take 22).

Als weiterer Punkt sei hier die Spannungserzeugung in den Takes 18 und 21 angeführt. Sie ist direkt mit der Filmdramaturgie und der im Laufe des Films zunehmenden Konfliktgefahr verbunden und findet vor allem im langen Showdown (Segmente 87–105) Verwendung. Auch in diesem Bereich greift Malle durch gezielte dramaturgische Musikeinsätze in den Rezeptionsprozess ein. Somit findet die Vermengung von Genres (Western/Melodram/Dokumentarfilm) und verschiedenen Inszenierungsmöglichkeiten (dokumentarische Kameraführung, vgl. Segmente 7, 16, 18 und melodramatische Darstellung, vgl. Segmente 48, 78, 112) ihr Pendant ebenfalls in der Auswahl und der Montage von Musik.

Ein zentrales Thema des Films ist wie schon bei Atlantic City, U.S.A. der ›american dream‹ vom Aufstieg zu Reichtum bzw. hier zu einem Reüssieren in der amerikanischen Gesellschaft. Dieses zentrale Motiv zieht sich durch den ganzen Film und taucht mit Hilfe der Musik an verschiedenen Stellen auf. So ist der Einsatz des Theme from Alamo Bay immer mit der Verkörperung bzw. letztlich dem Scheitern dieses Traums verbunden. Während Dinh der Aufstieg zu gelingen scheint (Take 1, 3), muss Shang die Verpfändung seines Bootes hinnehmen (Take 10). Wally erfährt einen unwürdigen Abschied vom Leben im Zorn über die Redneck-Fischer (Take 19), der treue Mexikaner Luis beendet seinen Traum vom amerikanischen Leben und kehrt wieder in seine Heimat zurück (ebenfalls Take 19) und Glory muss den endgültigen Ausstoß aus der Dorfgemeinschaft von Port Alamo hinnehmen, der sich bereits in Segment 40 ankündigt.253

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Die Kellnerin Diane sagt zu Glory: »Y’know, Glory, I don’t think you belong in this town anymore.«
Dabei ist anzumerken, dass Cooder die gelungene Integration des Vietnamesen musikalisch bereits ankündigt. Durch den Einsatz fernöstlicher Instrumente vereinigen sich zwei unterschiedliche Kulturen auf akustischer Ebene überzeugender als auf visueller Ebene, wo Dinhs Tragen von Blue-Jeans über Cowboy-Stiefel bis zum Stetson-Hut bisweilen wie eine unfreiwillige Parodie auf diesen Immigranten wirkt, der versucht, amerikanischer als die Amerikaner zu sein und sich von den Stars and Stripes über das Trinken von Lonestar-Bier bis hin zum Baseball eifrig alle Formen amerikanischer Ausdrucksweisen aneignet.

Cooders Musik schließlich, so effektiv sie auch mit wenigen Mitteln Landschaften, Klimabedingungen und Stimmungen evozieren vermag, muss sich dennoch den Vorwurf gefallen lassen, eine Art Plagiat des Paris, Texas-Soundtracks zu sein.254

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Vgl. Lloyd (1986): »Even the music isn’t new: Ry Cooder already wrote it for Paris, Texas
Sie hat trotz allem ihre Qualitäten im Ausdruck menschlicher Melancholie und Leidens (was im Paris, Texas-Thema freilich noch stärker zum Ausdruck kommt), ein Aspekt, den Cooder vor allem durch die charakteristischen Bottleneck-Klänge erreicht. Nicht zu Unrecht spricht John Culhane von einer »plaintive guitar«.255
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Culhane, John: »Louis Malle: An Outsider’s Odyssey«. In: New York Times Magazine 7. 4. 1985, S. 28–31, 68, hier S. 31.
Mit diesem einfachen Idiom der einsam klagenden Gitarre erreicht Cooder atmosphärisch-emotive Qualitäten, die fast an Morricones Themen aus Once Upon a Time in the West (USA/I 1968, Regie: Sergio Leone) heranreichen.


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