- 106 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Musikdramaturgie sich dem Stil des Films anpasst: Teilweise melodramatisch, teilweise authentisierend schwankt sie zwischen zwei verschiedenen Inszenierungsweisen, wobei sie sich dennoch durch eine stilistische Geschlossenheit auszeichnet, da das Gros der Takes durch das Blues- bzw. Country & Western-Idiom bestimmt ist. Sie enthält jedoch nicht (oder im Falle der Hereinnahme fernöstlicher Klänge nur sehr vage), wie bei anderen Filmen des Regisseurs der Fall, zusätzliche Informationen, die für das Verständnis des Films unerlässlich sind. Vielmehr verbleibt sie in recht konventioneller Weise in einer vorwiegend atmosphärischen Funktion und scheut nicht davor, durch gängige musikalische Mittel eine Emotionalisierung und Identifikation des Zuschauers zu provozieren.

  Au revoir les enfants – wenig Musik, große Wirkung

Der im Januar und Februar 1987 gedrehte Spielfilm Au revoir les enfants ragt in mehrfacher Hinsicht aus dem Schaffen von Louis Malle heraus. Es ist der erste Film, den der Regisseur nach seiner Rückkehr nach Frankreich drehte und zugleich ein Werk, welches zum Pflichtprogramm einer ganzen Generation von Schülern gehörte und auch den Einzug in deutsche Klassenzimmer fand und findet. Der bedeutendste Aspekt ist jedoch, dass der Film eine Geschichte wiedergibt, über deren Verfilmung Louis Malle sagte: »Es jagte mir Angst ein, weil es so wichtig für mich war, der wichtigste Bezugspunkt, das bedeutsamste Ereignis meiner Kindheit, vielleicht sogar meines Lebens.«256

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Malle in French (1998), S. 227. Auch an anderer Stelle betont Malle die Bedeutung des Ereignisses: »Es gab nie wieder etwas in meinem Leben, das dem Effekt, den dieser Morgen im Januar 1944 auf mich hatte, vergleichbar ist. Im Leben jedes Kindes, das sensibel genug ist, gibt es Momente von Enthüllung und Desillusionierung. Meine Erfahrung war durch die historischen Ereignisse, von denen sie begleitet wurde, extrem stark und brutal. Es hat mich völlig überrollt, mit der Welt der Erwachsenen auf solch gewalttätige Art und Weise konfrontiert zu werden. Das Leben ging weiter, aber meine Sicht der Welt hatte sich verändert. [. . . ] Ohne dieses Ereignis wäre ich ein anderer Mensch.« In: Fendel, Heike-Melba: »Interview mit Louis Malle«. In: epd-Film 11/87, S. 28

In diesem stark autobiographisch gefärbten Film, der eine wahre Begebenheit widerspiegelt, erlebt Malles alter ego Julien, wie die Gestapo im Jahre 1944 jüdische Schüler in einem Internat festnimmt. Dieses einschneidende Erlebnis hat Malle sein Leben lang verfolgt. Bereits in Interviews aus den frühen 70er-Jahren257

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Vgl. Jacob, Gilles: »Entretien avec Louis Malle (à propos de Lacombe Lucien)«. In: Positif 154 (3/74), S. 28–35
erzählt Malle von dieser Geschichte und seinem Wunsch, sie zu verfilmen, und auch Jean-Claude Laureux bestätigte mir, dass Malle von dem Projekt schon auf der Reise nach Indien 1968 sprach.

Der Film handelt von Julien Quentin, einem zwölfjähriger Internatszögling, der ein katholisches Collège besucht und seinem neuen Mitschüler und Bettnachbarn Jean Bonnet zunächst misstrauisch und mit Neid begegnet, eine Einstellung, die sich im Laufe des


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