- 107 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Films ändert und in eine zarte Freundschaft umschlägt, die durch gemeinsame Interessen wie Literatur genährt wird. Bonnet ist jüdischer Abstammung und wird von den Padres des Collège mit zwei weiteren Juden versteckt gehalten. Der Küchenjunge Joseph verrät diese an die Gestapo aus Rache, da er aufgrund des Schwarzhandels mit den Schülern entlassen wird. Die Gestapo führt schließlich eine Razzia im Collège durch und nimmt die jüdischen Schüler samt dem verantwortlichen Pater fest. In einem Off-Kommentar berichtet Malle von der Deportation und der Ermordung der Festgenommenen.

Malle sah in dem Film nie lediglich eine weitere Variation des Holocaust-Themas, sondern verlagerte den Fokus bewusst auf die Person des Julien Quentin und dessen Freundschaft mit Bonnet. Er kreierte somit das Porträt eines Kindes aus dem Großbürgertum, das die enge Beziehung des Kindes zur Mutter (vgl. Le Souffle au coeur) und auch Sorgen und Probleme wie beispielsweise die nächtliche Inkontinenz beinhaltet. Gleichzeitig versuchte Malle, eine authentische Schilderung des teilweise rüden Internatsleben zu erstellen und vor allem in der Restaurantszene ein Bild der französischen Gesellschaft und speziell des Großbürgertums (durch Aussprüche von Juliens Mutter) zu zeichnen. Der Film erschöpft sich thematisch somit keineswegs im Gräuel der Nazis, sondern ist weitaus vielschichtiger gestaltet.258

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Eine weitere Thematik ist das Entdecken der Erwachsenenwelt durch einen Heranwachsenden. Für André Tournès ist der Film die »évocation d’un hiver 44 où un enfant préservé et choyé a vu son univers s’effondrer devant l’irruption de l’injustice.« (»die Beschreibung des Winters 44, in dem ein beschütztes und verhätscheltes Kind seinen Horizont angesichts des Eindringens der Ungerechtigkeit zusammenstürzen sieht.«), zit. n. Prédal (1989), S. 151

Louis Malle wollte eine sentimentale Schilderung der tragischen Geschichte vermeiden. Nachdem er einen ersten Entwurf seiner Frau und seiner Tochter vorlas und diese nach dem Vortrag weinten, begriff er den emotionalen Charakter der Handlung.259

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Vgl. French (1998), S. 228
Daher vermied er in seinem Film jede überflüssige Dramatisierung: »Ich habe versucht abzuschwächen. Die Umstände sind so dramatisch, daß ich nichts mehr unnötig dramatisieren wollte.«260
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Malle in: Fendel (1987), S. 28
Dennoch nimmt der Regisseur auf subtile Art und Weise Einfluss auf die Atmosphäre des Films. Nachdem er den Gedanken verworfen hatte, in schwarz-weiß zu drehen, verwendete er nur Kleider in dunklen Tönen (blau, braun, grau), um auch optisch den Eindruck von Kälte zu vermitteln. Renato Berta, der Kameramann, verwendete einen hochempfindlichen Film, um die Szenen mit möglichst wenig Kunstlicht einzufangen. In mehreren Szenen ist der Film bewusst unterbelichtet. So scheint an keiner Stelle die Sonne, sondern es herrscht immer ein diffuses, kaltes Winterlicht, was zur düsteren Stimmung entscheidend beiträgt. Auch in diesem Film findet sich die unspektakuläre Inszenierungs- und Kameraarbeit, die bereits frühere Filme ausgezeichnet hat. Obwohl die Geschichte zu einem Teil aus Sicht des Julien Quentin verfolgt wird, drängt sich Malle nicht mit seiner persönlichen Perspektive dem Filmbetrachter auf (was aufgrund des autobiographischen Charakters des Films möglich gewesen wäre): »Mr. Malle never gets in the way of this story of friendship, betrayal and guilt. It’s as if it were telling itself, rather than being recalled and composed by someone outside.«261
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Canby, Vincent: »Au revoir les enfants«. In: The New York Times 12. 2. 1988
Im Gegenteil: Gerade weil die Perspektive Juliens vorherrscht, wird beispielsweise dem im Nachhinein wichtigen Charakter des Joseph zunächst kei-

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