Films
ändert und in eine zarte Freundschaft umschlägt, die durch gemeinsame Interessen
wie Literatur genährt wird. Bonnet ist jüdischer Abstammung und wird von den
Padres des Collège mit zwei weiteren Juden versteckt gehalten. Der Küchenjunge
Joseph verrät diese an die Gestapo aus Rache, da er aufgrund des Schwarzhandels mit
den Schülern entlassen wird. Die Gestapo führt schließlich eine Razzia im Collège
durch und nimmt die jüdischen Schüler samt dem verantwortlichen Pater fest. In
einem Off-Kommentar berichtet Malle von der Deportation und der Ermordung der
Festgenommenen.
Malle sah in dem Film nie lediglich eine weitere Variation des Holocaust-Themas,
sondern verlagerte den Fokus bewusst auf die Person des Julien Quentin und
dessen Freundschaft mit Bonnet. Er kreierte somit das Porträt eines Kindes
aus dem Großbürgertum, das die enge Beziehung des Kindes zur Mutter (vgl.
Le Souffle au coeur) und auch Sorgen und Probleme wie beispielsweise die
nächtliche Inkontinenz beinhaltet. Gleichzeitig versuchte Malle, eine authentische
Schilderung des teilweise rüden Internatsleben zu erstellen und vor allem in der
Restaurantszene ein Bild der französischen Gesellschaft und speziell des Großbürgertums
(durch Aussprüche von Juliens Mutter) zu zeichnen. Der Film erschöpft sich
thematisch somit keineswegs im Gräuel der Nazis, sondern ist weitaus vielschichtiger
gestaltet.258
Eine weitere Thematik ist das Entdecken der Erwachsenenwelt durch einen Heranwachsenden.
Für André Tournès ist der Film die »évocation d’un hiver 44 où un enfant préservé et
choyé a vu son univers s’effondrer devant l’irruption de l’injustice.« (»die Beschreibung des
Winters 44, in dem ein beschütztes und verhätscheltes Kind seinen Horizont angesichts des
Eindringens der Ungerechtigkeit zusammenstürzen sieht.«), zit. n. Prédal (1989), S. 151
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Louis Malle wollte eine sentimentale Schilderung der tragischen Geschichte vermeiden.
Nachdem er einen ersten Entwurf seiner Frau und seiner Tochter vorlas und
diese nach dem Vortrag weinten, begriff er den emotionalen Charakter der
Handlung.259
Vgl. French (1998), S. 228
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Daher vermied er in seinem Film jede überflüssige Dramatisierung: »Ich habe versucht
abzuschwächen. Die Umstände sind so dramatisch, daß ich nichts mehr unnötig dramatisieren
wollte.«260
Malle in: Fendel (1987), S. 28
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Dennoch nimmt der Regisseur auf subtile Art und Weise Einfluss auf die Atmosphäre
des Films. Nachdem er den Gedanken verworfen hatte, in schwarz-weiß zu drehen,
verwendete er nur Kleider in dunklen Tönen (blau, braun, grau), um auch
optisch den Eindruck von Kälte zu vermitteln. Renato Berta, der Kameramann,
verwendete einen hochempfindlichen Film, um die Szenen mit möglichst wenig
Kunstlicht einzufangen. In mehreren Szenen ist der Film bewusst unterbelichtet.
So scheint an keiner Stelle die Sonne, sondern es herrscht immer ein diffuses,
kaltes Winterlicht, was zur düsteren Stimmung entscheidend beiträgt. Auch in
diesem Film findet sich die unspektakuläre Inszenierungs- und Kameraarbeit,
die bereits frühere Filme ausgezeichnet hat. Obwohl die Geschichte zu einem
Teil aus Sicht des Julien Quentin verfolgt wird, drängt sich Malle nicht mit
seiner persönlichen Perspektive dem Filmbetrachter auf (was aufgrund des
autobiographischen Charakters des Films möglich gewesen wäre): »Mr. Malle
never gets in the way of this story of friendship, betrayal and guilt. It’s as
if it were telling itself, rather than being recalled and composed by someone
outside.«261
Canby, Vincent: »Au revoir les enfants«. In: The New York Times 12. 2. 1988
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Im Gegenteil: Gerade weil die Perspektive Juliens vorherrscht, wird beispielsweise dem im
Nachhinein wichtigen Charakter des Joseph zunächst kei-
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