ne besondere dramaturgische
Stellung zuteil, die dieser freilich später durch den Verrat annimmt: »The film attends to
the daily routine of school life much the way Julien does, without noticing the things
that will seem important only later, including the presence of the much despised
Joseph.«262
Des Weiteren gestaltet Malle die Personen im Film keinesfalls plakativ und
eindimensional. Weder ist Pater Jean uneingeschränkt positiv besetzt (gegenüber der
christlichen Haltung, die jüdischen Schüler zu verstecken, steht das Verweigern der
Hostie für Jean und die harte Bestrafung für Joseph), noch steht Joseph als gemeiner
Verräter, sondern vielmehr als Opfer dar: Er leidet unter der latent alkoholisierten und
tyrannischen Köchin und den überheblichen Schülern aus reichem Hause, die ihn nur
ausnutzen wollen. Durch diese Vermeidung der Stereotypisierung erscheint Joseph als
besonders tragische Figur: Er ist sich der Dimension des Verrats nicht bewusst und
ähnelt dadurch dem Protagonisten des früheren Films Lacombe Lucien. Gleichzeitig
vermeidet der Regisseur eine zu einfache Emotionalisierung und Lenkung des
Zuschauers.
Louis Malle verzichtet auf eine direkte Gewaltdarstellung seitens der
Gestapo-Figuren.263
»Je ne suis même pas celui qui montre la violence car je crois qui je l’ai très peu filmée.
[. . . ] Je préfère suggérer, ce qui peut d’ailleurs créer une tension très forte. Par exemple
dans Au revoir les enfants, je n’ai finalement pas retenu le souvenir pourtant précis du type
de la gestapo qui avait giflé un élève dans la cour. J’ai tourné la scène mais je ne l’ai pas
montée parce que j’ai trouvé que tout d’un coup ça libérait la tension chez le spectateur deux
minutes avant la fin. C’était une erreur dramaturgique mais aussi psychologique: il aurait
été presque rassurant de montrer cet Allemand brutal.«, zit. n. Prédal (1989), S. 173 (»Ich
bin keiner, der Gewalt zeigt, da ich glaube, sie sehr wenig gefilmt zu haben. [. . . ] Ich ziehe
es vor, sie anzudeuten, was mitunter eine sehr starke Spannung hervorrufen kann. In Au
revoir les enfants beispielsweise hatte ich die Erinnerung an den Gestapo-Typen, der einen
Schüler im Hof ohrfeigte. Ich habe diese Szene gedreht, aber nicht montiert, da ich merkte,
wie es die Spannung beim Zuschauer zwei Minuten vor Schluss plötzlich löste. Es war ein
dramaturgischer aber auch psychologischer Fehler: Es wäre eine Bestätigung gewesen, diesen
Deutschen brutal zu zeigen.«)
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Vielmehr betont er die Grausamkeit und kalte Präzision der deutschen Such- und
Vernichtungsmaschinerie durch die korrekt-kühle Haltung der Soldaten, die sich an die
Regeln und die Disziplin halten. Die Soldaten, die die beiden Jungen nach dem Spiel im
Wald auf der Straße auflesen, verhalten sich äußerst korrekt und nett, so dass Malle das
Bild des tyrannisch-mordenden deutschen Soldaten (jedenfalls äußerlich) vermeidet.
Somit lässt Malle den Zuschauer sich sein eigenes Bild erstellen, obwohl die
Thematik und die dargestellte Ungerechtigkeit eigentlich nur eine Betrachtungsweise
zulassen.264
Vgl. Prédal (1989), S. 160: »[. . . ] Malle laisse le public face à sa propre conscience.« (»[. . . ]
Malle lässt die Zuschauer mit ihrem eigenen Gewissen allein.«)
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Auf musikalischer Ebene stellt sich die Frage, ob und inwieweit Malle die ›neutrale‹
und unspektakuläre Darstellung der Bildebene fortführt und welche Funktionen die
Musik innehat.
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