- 113 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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stellt laut Schmidt ein »doppelbödiges Zitat«274
274
Ebda., S. 243
dar: »aus Nazi-Sicht ›entartete Neger-Musik‹, aus Bonnets Sicht Musik Amerikas, dem Ziel seiner vergeblichen Wunschprojektionen«.275
275
Ebda.
Erneut verbindet folglich etwas unter den Nazis Verbotenes die beiden Kinder: nach dem Chaplin-Film nun die Musik der Farbigen. Die Musik charakterisiert zugleich Jean (vor allem im Gegensatz zu Julien, der mit dem Boogie zunächst nichts anzufangen scheint) und hebt ihn aus der Masse der anderen Schüler heraus, die in der vorherigen Szene im Gottesdienst durch Je crois en toi, mon Dieu als relativ brave Katholiken gekennzeichnet wurden – Jean beobachtete diese Szene in der Kapelle hinter einem Pfeiler versteckt. Dabei verbindet sich der Status Jeans, sein Glaube und seine Herkunft, mit der Rolle der Jazzmusik (hier Boogie-Woogie) in der nationalsozialistischen Ideologie: zwei Elemente, die die körperliche und moralische Reinheit der deutschen Arierrasse bedrohten und deswegen verfolgt wurden.

  Fazit

Die Musikdramaturgie passt sich formal der Bilddramaturgie an. Sie wirkt sparsam und unaufdringlich. Ein Großteil der Musik ist im Bild verankert, während lediglich ein kleiner Prozentsatz im Off bewusst dramaturgisch verwendet wird. Dennoch kann sie den ›neutralen‹ Anspruch der Bildführung nicht einlösen, sie soll es wahrscheinlich auch gar nicht. Obwohl nur vereinzelt verwendet, geht von dem Schubert-Stück eine große Wirkung aus. Bereits in den Anfangsminuten wird der emotionale Grundtenor des Films gelegt. Es herrscht in den beiden ersten Segmenten eine eindeutige Paraphrasierung des Bildinhaltes durch die Musik. Zu den dargestellten Gefühlen Juliens – Einsamkeit, Melancholie – ertönt die Musik Schuberts, zu der leicht obige Emotionen assoziiert werden können.

Besonders wird der beeinflussende Charakter der Musik jedoch in der Schlussszene deutlich (Segment 53). Während der deutsche Soldat die Namen der Schüler vorliest und diese sich an die Wand stellen müssen, führen zwei andere Soldaten die drei jüdischen Kinder und Pater Jean durch den Innenhof an den Kindern vorbei hinaus. Nachdem Pater Jean sich von den versammelten Schülern mit dem Satz »Au revoir, les enfants! A bientôt.« verabschiedet hat, wird er von den Soldaten mit Bonnet, Négus und Dupré abgeführt und brutal durch die Eingangspforte getrieben. Bonnet dreht sich noch einmal um und sucht den Blick Juliens, der ihm verschüchtert zuwinkt, bevor Jean endgültig weggezerrt wird.

Diese Szene ist an Tragik kaum zu überbieten: Ohnmächtig gegen das totalitäre Terrorregime der Nationalsozialisten und deren irrsinnige Rassengrundsätze fühlt der Filmbetrachter mit Julien und Bonnet, deren Freundschaft gewaltsam beendet wird. Diese Szene gestaltet sich um so dramatischer, als sich der Titel des Films als Euphemismus erweist, der verdeutlicht, dass die meisten Kinder die Tragweite der Verhaftung höchstwahrscheinlich nicht realisieren und eben nicht wissen, dass sie die vier Opfer des Naziterrors niemals wiedersehen werden. Die Kamera verharrt schließlich auf Juliens Gesicht, dessen Augen sich allmählich mit Tränen füllen, während Malles Off-Stimme von der Ermordung der Verhafteten berichtet. Kleine


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