- 127 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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maldi, Adèle, Camille und Daniel die Hymne einträchtig unter dem Kirschbaum: Proletariat, Dienerschaft und Bürgertum in stiller, schläfriger Eintracht. Wohl an keiner Stelle wird deutlicher, was Malle mit dieser versteckten Musikdramaturgie bezweckt: Die Familienmitglieder lassen ihre Bürgertumsallüren fallen, legen auf Klassenunterschiede keinen Wert mehr und entlarven sich somit selbst als im Allgemeinen falsche, auf Etikette achtende Spießer. Freilich ist diese Eintracht der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten nur von kurzer Dauer. Nach der Flucht in den Wald brechen alte Unterschiede wieder auf302
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Vgl. in Segment 63 Claires abschätzigen Kommentar an Grimaldi gerichtet: »Ah, vous, le camionneur! Ne me touchez pas!« (»Ah, Sie Lastwagenfahrer! Fassen Sie mich nicht an!«)
und die Internationale, bis dahin das musikalische Kennzeichen der Annäherung, wird nicht mehr montiert.

Die Verwendung des Stückes stellt einerseits ein weiteres Indiz für die oben bereits angesprochene Versöhnung der gesellschaftlichen Klassen dar und lässt das Bürgertum für einen kurzen Moment sogar sympathisch erscheinen. Andererseits wird somit das Scheitern der Revolution schon frühzeitig deutlich, da das Kampflied der Arbeiterklasse zum Mitsumm-Schlager verkommt, wobei die Personen entweder unbewusst-unreflektiert mit einstimmen, bzw. im Fall der Gymnasiasten und der beiden Zwillinge die wahre Bedeutung und den Hintergrund des Textes nicht zu kennen scheinen. Die kämpferische Symbolik der Musik wird entschärft, alle revolutionären Bestrebungen in ihrer Ernsthaftigkeit angezweifelt und die Demonstrationen als blinder Aktionismus degradiert. Hier findet sich folglich ein weiteres Indiz für die Perspektive Malles, die durch den zeitlichen Abstand 1968–1989 die Geschehnisse liebevoll mit der Gewissheit ihres Scheiterns darstellt.

  Fazit

Die Verwendung der Musik bestätigt die stilistische und ästhetische Ausnahmerolle des Films Milou en mai im Kontext der übrigen späten Spielfilme Malles. Neben der für den Regisseur relativ seltenen Verfahrensweise, einen Komponisten für das Erstellen einer Partitur zu beauftragen, tritt die Funktion der Musik, die Handlung durch das Verwenden von Zitaten zu kommentieren. Zudem fällt der verstärkte Einsatz der Musik im Off auf; nahezu sämtliche Grappelli-Takes sind nicht durch das Bild motiviert.

Dies hat zur Folge, dass die Musik stärker als in anderen Filmen bewusst in die filmische Dramaturgie und somit auch in den Rezeptionsprozess des Filmbetrachters eingreift. Gerade am Beispiel der Grappelli-Musik wird dies deutlich. Die Musik bestimmt den atmosphärischen Grundton des Films und vermittelt eine sehr beschwingte, frühlingshafte Atmosphäre. Damit korrespondiert sie mit Malles Intention, die Zeit der 68-Bewegung aus seiner persönlichen Perspektive darzustellen. Die bereits mehrfach hervorgehobene Distanz zu den historischen Ereignissen resultierend aus dem Fehlen eines kämpferisch-revolutionären Lebensgefühls bzw. aus der versöhnenden, entdramatisierenden Sicht des Regisseurs spiegelt sich auch in der Musik wider. Diese bewirkt durch ihren Ausdruck eher ein Annähern der gesellschaftlichen Klassen bzw. ihrer Ideale, als eine Konfrontation. Diese Entwicklung kulminiert in der Veränderung der Internationalen als Walzer, lässt sich jedoch


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