- 128 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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auch durch die Entwicklung der dramaturgischen Verwendung dieses Stückes ablesen: zunächst noch als Kampfeshymne angesehen, setzt sich die eingängige Melodie bald auch in den Köpfen des Bürgertums fest.

Mitunter spielt die Musik eine Rolle bei der Vertonung der inneren Handlung von Personen. So spiegelt sie häufig Stimmungen wider, die die Charaktere empfinden (Milou, Départ) und sorgt für die akustische Gestaltung der Erinnerungs- und Traumsequenzen. Wenn Camille und Daniel beispielsweise Liebeserklärungen aus vergangenen Tagen gedenken, die auf einem Ball des 14. Juli, des französischen Nationalfeiertages, ausgesprochen wurden, spielt Grappelli den Valse du passé und holt somit die Vergangenheit akustisch in die Gegenwart. Vor allem der Schluss verdeutlicht die atmosphärische Wirkung der Musik in der Traumsequenz. Der Tiger-Rag beginnt wie die kindliche Melodie einer Aufziehpuppe: Die Mutter spielt für ihren Sohn. So verstärkt die Musik gleichzeitig den Charakter Milous, er wirkt wie ein großes Kind.

Gleichzeitig verleiht die akustische Untermalung der Szene dem Film ein versöhnliches Ende und wirkt im Zusammenhang mit den surrealen Bildern wie ein Augenzwinkern des Regisseurs, gleichsam als wolle dieser die im Film angeschnittenen Probleme (Erbstreitereien, Falschheit der Charaktere) und die aufwühlenden Zeitumstände (68er Bewegung) durch die Kraft der Musik abschwächen oder in Vergessenheit geraten lassen.

Emmanuelle Castro beschreibt die Gründe für den Einsatz der Musik Grappellis wie folgt:

»Louis Malle a hésité entre des tas de musiciens [...], on a écouté beaucoup de musiques de Grappelli et finalement on a trouvé ça formidable parce qu’il y avait un côté intemporel, mais en même temps elle allait bien aussi avec l’époque du film, bien qu’il y ait une différence de vingt ans, trente ans d’écart. On a choisi ça presque pour ne pas la marquer. Il y a une contradiciton, mais elle marque sans marquer ...«303

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»Louis Malle hat zwischen mehreren Musikern gezögert, wir haben sehr viel von Grappelli gehört und fanden das schließlich fabelhaft, denn die Musik hatte einen zeitlosen Aspekt, passte aber gleichzeitig auch gut zur Epoche des Films, obwohl es einen Unterschied von 20, 30 Jahren gab. Wir haben sie fast gewählt, um nicht die Epoche zu kennzeichnen. Es ist ein Widerspruch, aber sie kennzeichnet ohne zu kennzeichnen . . . «, zit. n. Le bon plaisir

Dieses Zitat belegt die Schwierigkeit, den Einsatz und die Wirkung von Filmmusik zu verbalisieren. Castro meint in diesem Fall offensichtlich die atmosphärische Korrespondenz von Epoche und Musik, spielt aber gleichzeitig auf den Aspekt der Zeitlosigkeit der Musik an. Bewusst vermeidet Malle somit seitens der Musik ein akustisches Porträt der Zeitumstände und verstärkt damit den märchen- oder fabelhaften (im wahrsten Sinne des Wortes!) Charakter des Films. Gleichzeitig steht dieser Aspekt der Musik in Verbindung mit der ›zeitlos‹ erscheinenden Figur des junggebliebenen Milou, in dem Andreas Kilb in ähnlicher Weise die Personifizierung eines alten, traditionellen französischen Lebensstils sieht: »Milou ist die Verkörperung der douce France, des süßen französischen Landlebens, das alle Stürme, Kriege und Revolten überdauert.«304

304
Kilb (1990)


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