- 216 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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In den Filmen Le Voleur und vor allem Le Souffle au coeur und Lacombe Lucien verbindet sich in der Musikbehandlung eine präzise Kennzeichnung der Zeit und des Ortes mit einer musikalischen Dramaturgie, deren Takes zum Teil eng mit den Protagonisten verknüpft sind. Es stellt sich die Frage, ob die Musik in Pretty Baby die gleiche Funktion innehat bzw. inwieweit eine vergleichbare Musikzuordnung vorliegt.

  Die Musik im Kontext der Epoche und des Ortes

René Prédal bezeichnet eines der Themen bzw. Schwerpunkte des Films als »hymne au jazz«,580

580
Prédal (1989), S. 132
Antonio Chemasi sieht im »New Orleans setting and its jazz tradition«581
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Chemasi (1977), S. 10
einen Aspekt, der für Malle ebenso interessant und wichtig war wie das Thema der Kinderprostitution. Durch diese Aussagen und die zeitliche Disposition des Films wird der Stellenwert der Musik deutlich. Malle, der seit Kindertagen vom Jazz fasziniert war, nutzte den Film Pretty Baby auch als eine Art Hommage an die Anfangstage dieser Musikrichtung.

Seit jeher waren die Etablissements von Vergnügungsvierteln – seien es Spielsalons, Bordelle oder einfache Bars – eng mit Musik verknüpft. Zudem herrschte seit Gründung von New Orleans eine sehr lebendige Musikszene in der Stadt. Musik wurde zu fast allen Gelegenheiten ausgeübt. Somit ist der hohe Anteil von Musik in diesem Film zu erklären: Malle verwendet insgesamt 3337sec Musik, was bei einer Gesamtlänge von 109 Minuten einem Anteil von 51 % entspricht. Damit zählt Pretty Baby zu den Filmen mit einem sehr hohen Musikanteil im Schaffen Malles.

Es handelt sich bei der Musik ausschließlich um zeitgenössische Kompositionen und Stücke, die zumeist im On eingesetzt werden. Bevor auf die Stücke im Einzelnen und auf ihre dramaturgische Verwendung eingegangen wird, soll zunächst eine kurze Einführung in die damalige Musikszene von New Orleans und die Entstehung des Jazz erfolgen.

Seit jeher existieren zahlreiche Legenden und Klischees über New Orleans als Ursprungsort des Jazz; gerade Storyville, das Vergnügungsviertel, galt bzw. gilt noch immer (fälschlicherweise) als die Wiege dieser Musikrichtung. Doch auch wenn der gesamte ländliche Süden an der Entstehung des Jazz beteiligt war und es auch im Norden bereits vor 1900 von Farbigen gespielte Tanzmusik gab, so gilt dennoch New Orleans als der Ort des Verschmelzungsprozesses verschiedener Stile, was zu einem großen Teil an der Geschichte und den Voraussetzungen lag, die diese Stadt bot.

Seit Gründung der Stadt La Nouvelle Orléans durch die Franzosen im Jahre 1718 unterschied sich die Bevölkerung von der im protestantisch-puritanischen Norden. Die ersten Einwohner der Stadt waren ›unerwünschte Elemente‹ aus Frankreich, d. h. Insassen aus Bordellen und Gefängnissen, »recht lebenslustige und von moralischen Normen nur wenig belastete Zeitgenossen«.582

582
Jost (1982), S. 21
Zu Beginn des 19. Jahrhundert konstatiert der französische Reisende C. C. Robin »viel Trägheit, Liederlichkeit und eine einmalige Gleichgültigkeit

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