- 220 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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der meisten Songs überall in diesem Viertel [...] Was sie spielten, war darüber hinaus kein Jazz, sondern ihre eigene Fassung klassischer Stücke – darunter häufig ›Geschichten aus dem Wienerwald‹ – oder populäre Songs [...]«594

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Palmer (1994), S. 47 f.

Jelly Roll Morton bezeichnet dagegen die Verarbeitung eines klassischen Stücks als »Jazznummer«.595

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Morton/Lomax (1992), S. 71
Als Beispiel führt er die (inzwischen als falsch demaskierte) Geschichte von der Entstehung des Tiger Rags an:

»Ich habe zum Beispiel den Tiger Rag aus einer alten Quadrille geschöpft, welche ursprünglich in verschiedenen Tempi gesetzt war [...] Nach fünf Minuten folgte ein Stück Walzer, danach eine Mazurka, und schließlich kamen zwei weitere Melodien im Zweivierteltakt. Aus all dem formte ich den Tiger Rag und taufte ihn so wegen der Art, wie ich mit meinem Ellbogen den Tiger auf der Klaviatur brüllen ließ.«596

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Ebda., S. 71 f. Im Film Pretty Baby findet man bei Erklingen des Tiger Rags diese Technik des Armgebrauchs wieder (S 5).

Auch wenn mittlerweile erwiesen ist, dass der Tiger Rag von der Original Dixieland Jazz Band komponiert wurde, liefert das Zitat dennoch ein Zeugnis von den damals gängigen Arrangierpraktiken; europäische Modetänze wurden zu einem Potpourri vermengt und durch eigene Stilmittel verändert. Durch ein ähnliches Verfahren wurde auch der Ragtime geschaffen:

Der Ragtime, der die wichtigste musikalische Kategorie im Film darstellt, entstand aus einer Mischung folgender Einflüsse: dem Coon-Song (aus weißen Minstrelsy-Shows), dem Cakewalk (in früheren Zeiten ein Plantagentanz, später ein Kunst- und Bühnentanz) und dem Marsch. Eine zentrale musikalische Technik war das ragging, das Synkopieren einer nicht synkopierten Melodie, welches auch auf bekannte Werke klassischer Musik angewandt wurde. Der Beginn der Ragtime-Ära kann mit dem Notendruck des Liedes All Coons Look Alike To Me im Jahre 1896 datiert werden. Herausragender Vertreter dieser musikalischen Stilrichtung war Scott Joplin, der als Pianisten-Professor seine musikalische Laufbahn begann und durch den von John Stark veröffentlicheten Maple Leaf Rag bekannt wurde. Mit dem fließenden Übergang zum New Orleans Jazz endet die Ragtime-Ära um 1917.597

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Zu detaillierteren Informationen siehe Hunkemöller, Jürgen: »Was ist Ragtime?« In: Archiv für Musikwissenschaft, 42 (1985), S. 69–86; Hasse, John Edward (Hrsg.): Ragtime. Its History, Composers and Music. London: Macmillan Press 1985 und Palmer (1994), S. 28–42

Die Musik im Film besteht hauptsächlich aus Ragtime- und Blues-Stücken. Vereinzelt ist auch ein Stück montiert, das dem New Orleans Jazz zugeordnet werden kann, wobei die Unterscheidung zwischen Ragtime und frühem New Orleans Jazz oftmals schwer fällt, da sich frühe Jazz-Bands häufig ›Ragtime-Bands‹ nannten und sich die Musikrichtungen z. T. stark ähneln. Wolfgang Sandner598

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Sandner, Wolfgang: Jazz. Zur Geschichte und stilistischen Entwicklung afro-amerikanischer Musik. Laaber: Laaber 1982, S. 39–62
grenzt die beiden Stile ab, indem er auf die beim Ragtime fehlende Improvisation des Jazz verweist, da Ragtime-Stücke immer notiert waren. Zudem nennt er als einen weiteren

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