- 263 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Musik, massiv im Off eingesetzt, erfüllt vor allem atmosphärische Funktionen und bedient sich einer Art Leitmotivik. Während in Crackers unter anderem die musikalische Spannungsdramaturgie klischeehaft wirkt, trägt in Alamo Bay die melancholische Gitarre Ry Cooders zur stimmungsvollen Emotionalisierung der Szenen bei, so dass Malle in dieser Phase seine zurückhaltend neutrale Haltung stellenweise aufgibt, wobei Alamo Bay wie ein Gattungsgemisch aus Melodram und Fischerei-Dokumentation wirkt. Auch in den Filmen, die wieder in Europa gedreht wurden und der vierten Periode zuzurechnen sind, kann sich Malle von einem emotionssuggerierenden Ansatz der Musikdramaturgie nicht freimachen. Au revoir les enfants (1987) nähert sich zwar visuell dem schlichten und unspektakulären Erzählstil früherer Produktionen an und zeichnet sich auch musikalisch durch einen gezielten, sparsamen Gebrauch der Schubert-Klaviermusik aus. Dennoch beinhaltet gerade der Einsatz der Musik in der Schlusssequenz eine bewusste (oder unbewusste?) Emotionalisierung der Bildvorgänge.

Während Milou en mai (1989) von einer feinen ironischen Kommentierung seitens der Musik gekennzeichnet ist, stellt Damage (1992) sowohl visuell als auch auditiv einen ästhetischen Sonderfall (abgesehen von Crackers) im Schaffen des Regisseurs dar. In ihm verlässt Malle gänzlich die neutrale Darstellungsweise und arbeitet sowohl kameratechnisch als auch musikalisch mit klischeehaften, stark suggerierenden Mitteln.

Stilistische Ausnahmen, die die Grenzen des Genres Spielfilm verlassen, jedoch aufgrund ihrer Ästhetik zu den Dokumentarischen Spielfilmen gehören, sind die Theaterfilme My Dinner With André (1982) und Vanya on 42nd Street (1994). In ihnen spielt die Musik eine untergeordnete Rolle, da das Hauptaugenmerk auf der verbalen Sprache liegt. Auf die Sonderstellung von Black Moon (1975) als surrealistischer Fantasy-Film ist in dem dazugehörigen Kapitel hingewiesen worden.

Der Kerngedanke: die aktive Partizipation des Zuschauers in der Ästhetik des Dokumentarischen Spielfilms

Beim Betrachten des Gesamtwerks wird deutlich, dass Malle sein ästhetisches Postulat in Bezug auf die Wirkungsweise der Musik teilweise verwirklichen konnte. Gerade die Konzeptionen seiner Filme der späten 60er und der Dokumentarischen Spielfilme der 70er-Jahre belegen dies. In ihnen baut Malle seine Inszenierungen auf dem dualistischen Prinzip aus »tiefgründigem Verstehen [. . . ] und distanzierter Beobachtung«686

686
Marschall (1999), S. 444
(s. o.) auf: »Die Haltung des idealen Dokumentaristen, der darauf verzichtet, das fremde Unverstandene zu erklären, mischt sich mit der Haltung des verstehenden Erzählers.«687
687
Ebda., S. 445 f.
Dieser Dualismus findet seine Entsprechung in einer Musikdramaturgie, die zwar, hinter dem Mantel des Dokumentarischen und der authentisch präzisen Verwendung im On kaschiert, durchaus atmosphärische Funktionen erfüllt und mitunter auch die Protagonisten bzw. Stimmungen musikalisch illustriert, jedoch den Zuschauer niemals mit massiv emotional-suggerierenden

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