- 27 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Spätestens an dieser Stelle wird der Unterschied zur nächtlichen Situation deutlich. Dieselbe Variation, die schon bei der Bootsfahrt montiert wurde, wird erneut eingesetzt, wobei sich nun die Erkenntnis bestätigt, dass jene Nacht unwiederholbar ist. Die Off-Stimme spricht es dann auch aus: »Ils partaient pour un long voyage dont ils connaissaient les incertitudes. Ils ne savaient pas s’ils retrouveraient le bonheur de leur première nuit.«63

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»Sie gingen fort auf eine große Reise ins Ungewisse. Sie wussten nicht, ob ihnen das Glück dieser Nacht erhalten blieb.«
Damit schließt sich der Kreis. Der Film, der mit dem Thema des Variationensatzes begann, endet mit der letzen Variation, die das Thema (allerdings im Cello) zitiert. Die Musik, hier als Kommentar eingesetzt, hat entscheidenden Anteil an der Atmosphäre des Endes, welches keinem Happy-Ending entspricht. Im Kontrast zur aufgehenden Sonne scheint die Musik eher die innere Handlung der Protagonisten widerzuspiegeln, welche genau wissen, dass es vermutlich unmöglich sein wird, den Zauber der vergangenen Nacht zu konservieren.

Die formale Struktur des Films wird zu einem großen Teil durch die Musik bestimmt. Neben der musikalischen Bogenform gewährleistet vor allem Take 6 den Zusammenhalt der beiden unterschiedlichen Teile (Gesellschaftspersiflage/romantisches Liebesdrama).64

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Prédal konstatiert eine »structure symphonique« im Film, welche durch den Gebrauch der Brahms-Musik noch unterstrichen werde. Er vergleicht die formale Einteilung des Films mit der Anordnung einer Sinfonie in Sätzen, die von unterschiedlichem Charakter sind, aber durch die Musik zusammengehalten werden. Vgl. Prédal (1989), S. 18

Gleichzeitig wird das Streichsextett im Laufe des Films immer wieder neu semantisiert, es unterliegt einem Wandlungsprozess. Im Vorspann zur Carte du Tendre ergibt sich eine Semantisierung, welche sich beim zweiten Auftreten (Jeanne trifft auf Henri) zu bestätigen scheint. Es folgt Take 6, dessen Überleitungsfunktion bereits angesprochen wurde. Die Musik erinnert an Henri, dessen Präsenz in der Bibliothek noch spürbar ist; sie ist jedoch auch mit Bernard verbunden, der die Schallplatte aufgelegt hat. Schließlich steht das Sextett für das Verliebtsein des Pärchens und am Ende für die Zweideutigkeit der dunklen Vorahnung, die sich schon beim Vorspann gebildet hat. Somit treten immer neue Gesichtspunkte hinzu, während gleichzeitig die bereits vorgenommenen Semantisierungen in neue Kontexte gestellt werden. Demnach schwingt bei Erklingen des II. Satzes (insbesondere des Themas) immer eine Erinnerung an den Vorspann und ggf. auch an die prägende Szene in den Segmenten 5–7 mit, in denen das Verhältnis zwischen Jeanne und Henri dargestellt wird. Eine wirklich glückselige Stimmung wird nur durch die Durvariation und vor allem die Ausschnitte des I. Satzes erreicht.

  Fazit

Obgleich der Film auch mit filmischen Vorbildern in Verbindung gebracht werden kann – Malle zitiert durch die langen Einstellungen Cocktail für eine Leiche (USA 1948, R: Alfred Hitchcock),65

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Vgl. French (1998), S. 45
und sowohl Thematik als auch Ort erinnern an La Règle du jeu (F 1939, R: Jean Renoir) – liegen die inhaltlichen und stilistischen


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