Reminiszenzen des Films weit gefächerter. Das Drehbuch basiert auf einer Erzählung
von Vivant Denon aus dem achtzehnten Jahrhundert, Point de lendemain, die Carte du
tendre wird im Vorspann zitiert, und die Figur der Jeanne erinnert stark an die
Protagonistin aus Flauberts Roman Madame Bovary. Neben diesen literarischen Quellen
finden sich in der Sekundärliteratur auch zahlreiche Verweise zur Malerei. Janet
Flanner vergleicht die Liebesszenen mit nackten Körpern auf Bildern von Henri
Matisse,66
Janet Flanner in The New Yorker zit. n. Slide, Anthony: Fifty Classic French Films,
1912–1982. A pictorial record. New York: Dover Publications 1987, S. 100
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Gertrud Koch sieht in den Pappeln der Anfangsszene und später bei der Autopanne den Einfluss
Georges Seurats67
und Malle selbst nennt den Maler Caspar David Friedrich als Inspiration für die Liebesszenen
im Park.68
Malle in French (1998), S. 46
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Der Einfluss des letztgenannten verdeutlicht die Intentionen Malles für den sich
stilistisch abhebenden zweiten Teil des Films (ab Segment 45); die sinnliche
Schilderung einer Liebesnacht war von Malle geplant: »[. . . ] die zweite Hälfte ist
beinahe eine Hommage an den romantischen deutschen Maler Caspar David
Friedrich. Diese Art von visuellem Statement wollte ich tatsächlich machen: sehr
lyrisch, sehr romantisch. Mit Hilfe von Brahms gelang die Wirkung vollkommen
[. . . ]«.69
Hier zeigt sich ein Aspekt der Intermedialität des Films: Dekor, Licht, Kameraführung
und Musik zielen durch Verweise auf andere Kunstarten auf das Kreieren einer
tief romantischen Stimmung hin, die freilich aus heutiger Sicht durch die
Eindeutigkeit ihrer Mittel in Richtung Kitsch tendiert (Koch spricht in Bezug auf
die »romantisch überhöhten Natur-Einstellungen« sogar von »ästhetischen
Entgleisungen«70 ).
Gleichzeitig wird deutlich, dass die Musik eindeutig die Atmosphäre des Films
mitbestimmt (siehe obiges Zitat von Malle) und somit den Zuschauer durch die
vermeintliche Suggestion von Emotionen beeinflusst. Kline sieht demnach im Film eine
Mischung aus Hollywood und Sozialkritik à la Renoir, nicht zuletzt bewirkt durch den
Musikeinsatz:
»By establishing this allusion to Renoir, Malle situates his film somewhere
between Hollywood romance and social criticism. If the night of love between
Jeanne and Bernard and the ›manipulative‹ use of Brahms’s romantic sextet
cast the film in a romantic mold, the allusions to Renoir disturb that mold
without totally destroying it.«71
So gibt denn auch Malle in einem Interview zu, dass die Verwendung von Musik in Les
Amants von seinem ästhetischen Ansatz einer Musikdramaturgie abweiche:
»Yes, the other exception would be the use of the Brahms Sextett in The
Lovers. It’s used in a conventional way because it brings a romantic mood
into the love scene in that long, slow night shared by Jeanne Moreau and
Jean-Marc Bory. It was beautiful but its use was almost manipulative. It72
Vermutlich handelt es sich hier um einen Druckfehler. I anstelle von It wäre
plausibler.
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was certainly trying to convey certain emotions.«73
Malle in Yakir (1978b), S. 10
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