- 270 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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der Nouvelle Vague-Filme ist jedoch einerseits zu beachten, dass ein gravierender Unterschied zwischen der Metropole Paris und der französischen Provinz in Bezug auf die Programmgestaltung der Kinos respektive der Bevölkerungsschichten unter den Kinobesuchern herrscht; andererseits ist die Annahme, dass lediglich ein kleiner, elitärer Teil des Publikums sich Nouvelle Vague-Filme anschaute, falsch. Filme wie Les Quatre cents coups und A bout de souffle waren durchaus Publikumserfolge; jedoch laut Jacques Doniol-Valcroze aus irrtümlichen Gründen, nämlich ohne dass der ›Antikonformismus‹ und die Neuerungen dieser Filme erkannt wurden.703
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Vgl. o. V.: »Trois points d’économie (Eléments pour un dossier)«. In: Cahiers du Cinéma 138 (12/62), S. 85–100. Diese Ausgabe widmet sich dem Phänomen der Nouvelle Vague und lässt die Mitbegründer der Cahiers-Gruppe zu Wort kommen. Jacques Doniol-Valcroze vertritt die Ansicht, dass das Publikum A bout de souffle gemocht hat, wie es einen Western möge und dass es keinen Unterschied zwischen Les quatre cents coups und La guerre des boutons mache, da beides eine ›histoire de gosse‹ (Geschichte von Kindern) sei.
Seiner Ansicht nach beruhte der Erfolg vieler Nouvelle Vague-Filme eher auf der Neugier, dem teilweisen Snobismus des Publikums und der Schwäche vieler Filme, die dem traditionellem Schema entsprachen. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass neben den stilistisch innovativen Produkten der Nouvelle Vague das herkömmliche Kino weiter existierte und in der Gunst des Publikums nach wie vor einen hohen Stand hatte, ja sogar in der Mehrzahl einen höheren Zuschauerdurchschnitt verbuchen konnte als Nouvelle Vague-Produktionen. Jean-Michel Frodon sieht demnach in der Periode 1959–1962 eine Phase, in der sich das französische Kino an einem Scheideweg zwischen einem ›cinéma commercial‹ und einem ›cinéma d’art‹ befand und die das Ende seines ›age classique‹ einleitete.704
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Vgl. Frodon, Jean-Michel: L’âge moderne du cinéma français. De la Nouvelle Vague à nos jours. Paris: Flammarion 1995, S. 133

Für die Disposition des Publikums war die wachsende kritische Auseinandersetzung mit dem Film, sei es auf höherer Ebene in den zahlreichen Magazinen und Fachzeitschriften, sei es auf privater Ebene in Diskussionen und lokalen ciné-clubs, wie bereits oben erwähnt, von entscheidender Bedeutung. Es wurde viel über Film geredet und philosophiert; neben Organisationen wie der AFCAE (Association française des cinémas d’Art et d’Essais) wurden zahlreiche Kinos ins Leben gerufen, die sich auf Filme spezialisierten, die in anderen Sälen aus ökonomischen Gründen nicht gezeigt wurden und in denen auch organisierte Diskussionen stattfanden. So war das ›Studio Parnasse‹ regelmäßig Ort für Debatten mit André Bazin und den Cahiers-Kritikern. Das Phänomen Kino kannte demnach in diesen Jahren eine enorme Popularität und verzeichnete hohe Zuschauerzahlen, die in den darauffolgenden Jahren immer weiter zurückgingen.

Das Verhältnis des Filmschaffenden zum Publikum

Die ernsthafte Beschäftigung mit Film seitens des Publikums lässt vermuten, dass sich die Filmschaffenden einer Zuschauerschaft sicher sein konnten, die jedenfalls in Teilen die innovativen Ansätze und die Neuerungen der Filmsprache zu bemerken und zu würdigen wusste. Durch die zunehmende Schulung und gerade die intellektuelle Auseinandersetzung mit Film konnten die Regisseure davon ausgehen, dass


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