- 275 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (274)Nächste Seite (276) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

und verändert zudem die Frequenzen, um auf keinen Fall einen physischen Effekt auf den Zuschauer zu riskieren. Chion spricht in diesem Fall von »neutralisation de la musique«717
717
Chion (1995), S. 380 (»Neutralisierung der Musik«)
und von einem »traitement littéralement dévitalisant.«718
718
Ebda. (»ein im wahrsten Sinne des Wortes schwächender Gebrauch«) Chion spielt in diesem Zusammenhang auf eine Szene aus dem Film Le Beau mariage (F 1982) an, in dem bei einer Party der Frequenzbereich der Musik derart limitiert wiedergegeben wird, dass praktisch keine Bässe zu vernehmen sind. Nach Chions Ansicht grenzt dieser Gebrauch, der mit der Vermeidung jedweden physischen Effektes auf den Zuschauer begründet wird, an die Karikatur.

Hier wird deutlich, dass es sowohl durchaus Entsprechungen zu Malles Haltung einer weitgehend neutralen Inszenierungsweise und Musikdramaturgie gibt sowie auch Regisseure, die aufgrund ästhetischer Prinzipien gänzlich auf Musik verzichten. Malle beschreitet diesen Weg nicht mit der Konsequenz wie Eric Rohmer, da in seinen Filmen die Musik eine weitaus größere Rolle spielt und er sie auch zum Träger von inhaltlichen Zusatzebenen und -informationen nutzt. Dennoch wird deutlich, dass Malle mit seinem Bruch mit der symphonischen Filmmusik im Stile Hollywoods keinesfalls ein Einzelfall ist, sondern im Zuge der Nouvelle Vague allgemeine Tendenzen zu einer stilistischen und ästhetischen Neuorientierung der Musikdramaturgie zu verzeichnen sind und die Regisseure in verstärktem Maße die Tonspur ihrer Filme (im Sinne des Autorenkinos) zu kontrollieren und mitzugestalten suchten.

Schlussbemerkung

Die Ergebnisse der Einzelanalysen haben gezeigt, dass in einigen Filmen die Ästhetik des zurückhaltenden und nicht beeinflussenden Gebrauchs von filmischen Mitteln auch in musikalischer Hinsicht erfüllt wird. Wenn die Cutterin Emmanuelle Castro sagt: »L’objectif choisit et on ne vous force pas, on vous laisse libre. C’est un cinéma qui vous force d’être attentif. Par exemple, souvent des répliques importantes ne sont absolument pas dites en gros plan.«719

719
»Das Objektiv wählt die Perspektive, aber man wird nicht gezwungen, es wird einem eine gewisse Freiheit gewährt. Es ist ein Kino, das den Zuschauer zwingt, aufmerksam zu sein. So werden wichtige Aussagen keinesfalls in Großaufnahme mitgeteilt.«, zit. n. Le bon plaisir
, so kann man diesen Aspekt der ›Freiheit‹ des Zuschauers nicht nur auf die Kameraführung und die Gesprächsdramaturgie beziehen, sondern in vielen Fällen auch auf den Einsatz musikalischer Mittel. Louis Malle fordert vom Filmbetrachter ein aktives und kritisches Teilnehmen am Kommunikationsprozess Film. Durch musikalische Zitate vermag der Regisseur die inhaltliche Ebene seiner Filme anzureichern und in manchen Fällen Botschaften zu kodieren, häufig aber dem Filmbetrachter auch seine eigene Interpretation zu lassen. In den meisten Filmen vermeidet er ein eindeutig paraphrasierendes Verhältnis von Bild und Musik und versucht nicht durch vordergründige Effekte die Aufmerksamkeit des Zuschauers zu lenken. Die Musik in Malles Filmen bildet einen legitimen Bestandteil der gesamtfilmischen Dramaturgie, teilweise sogar ein integrales Teilthema des Films (Pretty Baby, Le Souffle au coeur). Im Hinblick auf diese Aspekte erfüllt die Musikverwendung bei Malle folgen-

Erste Seite (i) Vorherige Seite (274)Nächste Seite (276) Letzte Seite (363)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 275 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?"