- 31 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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wird. Somit verkörpert das Mädchen einen Nonkonformismus und eine grundlegende Ehrlichkeit, die sie deutlich von den im Film auftretenden Erwachsenen abheben, die Zazie auf ihre Fragen niemals die Wahrheit sagen und stets bemüht sind, einen falschen Schein zu wahren.

Die Schwierigkeit für Malle bestand darin, die im Buch enthaltene Kritik an der traditionellen Literatur adäquat in den Film umzusetzen. Im gleichen Sinne, wie Queneau sämtliche literarische Techniken und vor allem die des Pastiche verwendet, um literarische Klassiker zu parodieren, schwebte Malle ein ähnliches Verfahren für den Film vor: »Jean-Paul Rappeneau et moi avons tenté de trouver des équivalences pour arriver à la même critique interne de l’écriture cinématographique.«80

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Louis Malle in Baby, Yvonne: »Louis Malle parle de son film ›Zazie dans le métro‹«. In: Le Monde 27. 10. 1960 (»J.-P. Rappenenau und ich haben versucht, Entsprechungen zu finden, um die gleiche Kritik an der Filmsprache zu erreichen.«)

Aus diesem Grunde schöpfte Malle die bis dahin vergangenen fünfzig Jahre Filmgeschichte mit den entsprechenden Techniken aus. Es finden sich unter anderem zahlreiche Anklänge an frühe amerikanische Slapstick-Komiker wie den Marx-Brothers, das Paris des René Clair und in den ›Zeichentrick-Szenen‹ mit echten Darstellern an Cartoons von Tex Avery. Eine dem Buch vergleichbare Irrealität schafft Malle, indem er die Identität von Personen aufhebt (der Jeans-Verkäufer auf dem Flohmarkt ist gleichzeitig der Käufer, Segment 21) oder die Dimension des Raumes sprengt (Zazie erscheint vor und hinter ihrem Verfolger). Traditionelle filmdramaturgische Mittel wie Rückblende und Traum werden ironisiert, und sogar Filme wie La dolce vita von Fellini werden parodiert: wenn nämlich Mme Mouaque Trouscaillon leidenschaftlich auf dem Becken eines Springbrunnens küsst. Dieses Verarbeiten von Vorbildern und Filmen macht auch vor dem eigenen Oeuvre nicht halt: So mutet der nächtliche Spaziergang Zazies auf den Boulevards nahe dem Vergnügungsviertel Pigalle wie eine Parodie auf Jeanne Moreaus ziellose Irrfahrt in Ascenseur pour l’échafaud an.

Neben einer Kritik an der traditionellen Filmsprache schwebte Malle auch eine »Inventarisierung der technischen Möglichkeiten eines bestimmten Filmgenres, der comédie burlesque«81

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Laußmann, Sabine: »Zazie dans le métro. Karnelvaleske Komik in Roman und Film«. In: Albersmeier, Franz-Josef/Roloff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, S. 367–386, hier S. 373
vor: »C’était amusant de faire avec un film comique une sorte d’inventaire du langage cinématographique et de ses possibilités, et c’était, à mon avis, le seul moyen de trouver un équivalent à ce que fait l’intérêt du livre de Queneau.«82
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Louis Malle in: Les Lettres Françaises, zit. nach Laußmann (1989), S. 374 (»Es hat Spaß gemacht, mit Hilfe einer Komödie eine Art Inventar der Filmsprache und ihrer Möglichkeiten zu erstellen, was meiner Meinung nach der einzige Weg war, dem Buch von Queneau gerecht zu werden.«)
Abgesehen von diesem technischen Aspekt stellte das Zersetzen der Filmsprache für Malle auch eine geeignete Repräsentation der hektischen und teilweise irrealen Welt in einer Großstadt zu Beginn der 60er-Jahre dar, eine Welt, die Malle selbst als »désintégré et chaotique«83
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Malle in: Le Monde, zit. n. Prédal (1989), S. 47
(›aufgelöst und chaotisch‹) bezeichnet.

In Bezug auf die verwendete Musik bzw. die auditive Dramaturgie (gerade in diesem Film spielen Dialog und Geräusch eine elementare Rolle) wird zu klären sein, inwieweit sich der Einsatz der akustischen Elemente des Films dem der visu-


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