wird. Somit verkörpert das
Mädchen einen Nonkonformismus und eine grundlegende Ehrlichkeit, die sie deutlich von
den im Film auftretenden Erwachsenen abheben, die Zazie auf ihre Fragen
niemals die Wahrheit sagen und stets bemüht sind, einen falschen Schein zu
wahren.
Die Schwierigkeit für Malle bestand darin, die im Buch enthaltene Kritik
an der traditionellen Literatur adäquat in den Film umzusetzen. Im gleichen
Sinne, wie Queneau sämtliche literarische Techniken und vor allem die des
Pastiche verwendet, um literarische Klassiker zu parodieren, schwebte Malle ein
ähnliches Verfahren für den Film vor: »Jean-Paul Rappeneau et moi avons tenté de
trouver des équivalences pour arriver à la même critique interne de l’écriture
cinématographique.«80
Louis Malle in Baby, Yvonne: »Louis Malle parle de son film ›Zazie dans le métro‹«. In: Le
Monde 27. 10. 1960 (»J.-P. Rappenenau und ich haben versucht, Entsprechungen zu finden,
um die gleiche Kritik an der Filmsprache zu erreichen.«)
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Aus diesem Grunde schöpfte Malle die bis dahin vergangenen fünfzig Jahre
Filmgeschichte mit den entsprechenden Techniken aus. Es finden sich unter anderem
zahlreiche Anklänge an frühe amerikanische Slapstick-Komiker wie den Marx-Brothers,
das Paris des René Clair und in den ›Zeichentrick-Szenen‹ mit echten Darstellern an
Cartoons von Tex Avery. Eine dem Buch vergleichbare Irrealität schafft Malle, indem er
die Identität von Personen aufhebt (der Jeans-Verkäufer auf dem Flohmarkt ist
gleichzeitig der Käufer, Segment 21) oder die Dimension des Raumes sprengt (Zazie
erscheint vor und hinter ihrem Verfolger). Traditionelle filmdramaturgische Mittel wie
Rückblende und Traum werden ironisiert, und sogar Filme wie La dolce vita von Fellini
werden parodiert: wenn nämlich Mme Mouaque Trouscaillon leidenschaftlich auf dem
Becken eines Springbrunnens küsst. Dieses Verarbeiten von Vorbildern und
Filmen macht auch vor dem eigenen Oeuvre nicht halt: So mutet der nächtliche
Spaziergang Zazies auf den Boulevards nahe dem Vergnügungsviertel Pigalle wie
eine Parodie auf Jeanne Moreaus ziellose Irrfahrt in Ascenseur pour l’échafaud
an.
Neben einer Kritik an der traditionellen Filmsprache schwebte Malle auch eine
»Inventarisierung der technischen Möglichkeiten eines bestimmten Filmgenres, der comédie
burlesque«81
Laußmann, Sabine: »Zazie dans le métro. Karnelvaleske Komik in Roman und Film«. In:
Albersmeier, Franz-Josef/Roloff, Volker (Hrsg.): Literaturverfilmungen. Frankfurt am Main:
Suhrkamp 1989, S. 367–386, hier S. 373
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vor: »C’était amusant de faire avec un film comique une sorte d’inventaire
du langage cinématographique et de ses possibilités, et c’était, à mon avis,
le seul moyen de trouver un équivalent à ce que fait l’intérêt du livre de
Queneau.«82
Louis Malle in: Les Lettres Françaises, zit. nach Laußmann (1989), S. 374 (»Es hat Spaß
gemacht, mit Hilfe einer Komödie eine Art Inventar der Filmsprache und ihrer Möglichkeiten
zu erstellen, was meiner Meinung nach der einzige Weg war, dem Buch von Queneau gerecht
zu werden.«)
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Abgesehen von diesem technischen Aspekt stellte das Zersetzen der Filmsprache für Malle
auch eine geeignete Repräsentation der hektischen und teilweise irrealen Welt in einer
Großstadt zu Beginn der 60er-Jahre dar, eine Welt, die Malle selbst als »désintégré et
chaotique«83
Malle in: Le Monde, zit. n. Prédal (1989), S. 47
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(›aufgelöst und chaotisch‹) bezeichnet.
In Bezug auf die verwendete Musik bzw. die auditive Dramaturgie (gerade in diesem
Film spielen Dialog und Geräusch eine elementare Rolle) wird zu klären sein, inwieweit
sich der Einsatz der akustischen Elemente des Films dem der visu-
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