spätromantischen Klangideal eines Hollywood-Dramas. Anstelle breiten
Streicherklangs mit chromatisch vorwärtsstrebender Melodik erklingt das typische
Klangbild von Saties Musik, die sich durch eine gewisse Sprödigkeit, aber auch
durch leichte Verständlichkeit und Eingängigkeit (gerade bei den Gymnopédies)
auszeichnet. Die Bassostinati und –orgelpunkte bewirken eine Monotonie, die
mit dem im Film dargestellten Gefühlszustand Leroys korrespondieren, der
ebenfalls über weite Strecken des Films unverändert bleibt. Harmonisch
überwiegen gerade bei den Gnossiennes vermollte Kadenzwendungen, sofern
man die harmonischen Entwicklungen in Funktionsschemata pressen will, was
einerseits durch die an Modi erinnernde Tonalität ein kirchlich-feierliches Element
ausdrückt, andererseits aber auch eine etwas melancholische Stimmung verbreitet.
Die Spielanweisungen wirken teilweise wie programmatische Hinweise auf den
Bildinhalt; es sei jedoch darauf hingewiesen, dass sie sich für eine verbindliche
Interpretation der Handlung nur bedingt eignen. Wohl entsprechen die Tempo- und
Vortragsbezeichnungen am Anfang der Stücke der Stimmung und dem Weg des
Protagonisten141
»Satie wollte die italienischen Vorschriften in der Musik wie piano, pianissimo, dolce, mezzoforte durch andere auf seinem Mist gewachsene und unendlich weniger klassische ersetzen, wie etwa: En se regardant soi même venir [sich selber kommend sehen], [...] Mirifique et convenable [großartig und angemessen]. Er amüsierte sich wie verrückt über seine Erfindungen.«142
Hier findet sich ein Merkmal für Saties zweideutiges Wesen, der es genoss, durch seine unkonventionellen Kompositionsverfahren als ›enfant terrible‹ der Pariser Musikwelt zu gelten. Die zweifellos in den Kommentaren enthaltene Ironie entspricht dem Ausdruckscharakter der Klavierstücke, die sich einer eindimensionalen Lesart entziehen. Hervorzuheben ist die hohe atmosphärische Geschlossenheit der Musik im Film. Durch die Beschränkung auf einen Klangtypus erreicht Malle eine durchgehende Stimmung, die sich – entsprechend der Gemütslage Alains – während des Films nicht ändert. Ein weiterer Grund für die Stimmigkeit von Thematik, Bild und Ton mag darin liegen, dass ein Zusammenhang zwischen dem im Roman dargestellten Jacques Rigaut, dem Schriftsteller Drieu la Rochelle, dem Protagonisten Alain Leroy und dem Komponisten Erik Satie besteht. Gévaudan sieht in dieser Verkettung die gleiche Außenseiterrolle:
»Jacques Rigaut, Pierre Drieu la Rochelle et, par voie de conséquence, Alain Leroy: une même marginalité. Où s’affirme ce penchant de la bourgeoisie, lorsqu’elle atteint à un certain niveau de lucidité, pour hâter sa propre destruction. [...] Satie, un autre marginal, avec ses titres dingues et sa musique acide.«143
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