- 79 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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Demnach müsste Lily über eine sehr sensible Wahrnehmung verfügen: »Obviously, Lily is picking up on facets of reality that we are not used to perceiving«,190
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Vgl. Kuehn (1984), S. 51
was wiederum mit ihrem Erwachen der Sinne in Verbindung gebracht werden kann: die Pubertät als Phase des Entdeckens und Aufnehmens. Zudem erhalten die Tiere durch die Geräusche verstärktes Gewicht, sie deuten auf eine andere Form des Zusammenlebens von Mensch und Tier bzw. Mensch und Natur hin, eine Form des gegenseitigen Respektierens (vgl. die wimmernden Blumen).

Die Geräusche sind oftmals an ein bestimmtes Thema bzw. an bestimmte Personen gebunden: so das knisternde Holzfeuer an Lily oder die Funkradiogeräusche an die alte Frau. Hier wird deutlich, was Malle mit ›musikalischer Konstruktion‹ des Films meint. Durch das Wiederholen von bestimmten Geräuschen und Soundeffekten tauchen bestimmte Themen und Personenkonstellationen immer wieder auf, so z. B. das Einhorn (durch den Synthesizerton), die Blumen (durch das Wimmern) oder der Bruder durch bestimmte Gesangsausschnitte.

Malle verfolgt durch den gesamten Film hindurch das Prinzip der bewussten Asynchronität. Die Geräusche kündigen somit stets die Quelle an, die akustische Schicht nimmt das Visuelle voraus. Laut Blanchard rufen die teilweise ungewohnten Geräusche etwas tief im Zuschauer Verborgenes hervor, welches ihm nicht bewusst ist: »Ces bruits, ces cris ne nous rassurent guère et nous font sursauter, nous surprennent en nous renvoyant à quelque fonctionnement viscéral, animal, enfoui au plus profond de nous.«191

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Blanchard, Gérard: Images de la musique de cinéma. Paris: Edilig 1984, S. 85 (»Diese Geräusche und Schreie beruhigen uns kaum und lassen uns aufschrecken, indem sie uns auf einen Mechanismus verweisen, der tief in unserem Körper verborgen ist.«)
Malle zielt in eine ähnliche Richtung dieser etwas unpräzisen Aussage (Blanchard führt nicht näher aus, was er mit ›fonctionnement viscéral‹ genau meint), wenn er das Einhorn, die Ratte und das Labyrinth seines Hauses als »univers archaïque«192
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Malle in Mallecot (1978), S. 54 (»archaisches Universum«)
bezeichnet, das »von weit her, von der Kindheit her kommt«.193
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Vgl. ebda.
Offensichtlich spielen beide Aussagen auf entwicklungspsychologische Prozesse an, die jeder Mensch – so auch der Filmbetrachter – erlebt hat und die durch das Betrachten des Films wieder wachgerufen werden.

Stimmen

Wie oben bereits erwähnt, spielt die menschliche Sprache als Kommunikationsform eine untergeordnete Rolle. Somit sind die einzigen Sprecher einer für den Zuschauer verständlichen Sprache Lily194

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Kein Wort Französisch im Film stammt von einem Muttersprachler. Sowohl Therese Giehse als auch Cathryn Harrison sprechen mit einem Akzent. Vor allem bei letzterer erkennt man an der Aussprache die englische Herkunft.
und die alte Dame bzw. dessen alter ego, das Einhorn. Die Frau im Bett spricht zu ihrer Ratte in einer Fantasiesprache, die Kuehn als »an unintelligible sort of pidgin German«195
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Ebda. (In der Tat sind deutsche Wortfetzen herauszuhören. So in Segment 32, wenn die Frau den Bruder ausschimpft: ›Geh auch weg!‹)
und Blanchard als »langue étrangère avec une volubilité quasi slave«196
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Blanchard (1984), S. 129 (»eine fremde Sprache mit quasi slawischem Redefluss«)
ansehen. Die Kinder im Film spre-

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