- 81 -Fastenau, Volker: "...comme si on appuyait sur une sonette?" 
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miteinander und interpretiert die Musik als Kommentar im Hinblick auf den Inhalt der Handlung. Gertrud Koch hält zwar letztere Möglichkeit für verbitterte Wagner-Apologie;200
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Vgl. ebda.
die Parallelen und Anspielungen zwischen den beiden Kunstformen sind jedoch zu deutlich, als dass man die Musik lediglich als pittoreskes Beiwerk betrachten könnte.

Der erste Musikausschnitt begleitet Lily auf ihrer Autofahrt, bis sie in eine Straßensperre gerät und das Radio ausschaltet. Nachdem sie zuvor bereits eine tote Soldatin am Straßenrand gesehen hat, wird sie im Folgenden Zeugin der kaltblütigen Exekution von Soldatinnen durch ihre männlichen Gegner. Diese Szene ist von einem eklatanten Gegensatz zwischen Bildern und Musik gekennzeichnet. Der Ausschnitt aus Wagners Drama zeigt das Liebespaar Tristan und Isolde, das im Schutze der Nacht zueinander gefunden hat und nun in Weltentrücktheit und Ekstase schwelgt.201

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Auf eine genauere Darstellung des Inhalts des Musikdramas wird an dieser Stelle verzichtet. Es sei auf übliche Opernführer und Csampai/Holland (1983) verwiesen.
Leidenschaft und Liebe treten in dieser Hymne an die Nacht hervor, in der der Tag negativ besetzt ist und nur die Nacht die schützende Dunkelheit gewähren kann: »Es ist der Wunsch der Liebenden, diese Nacht nicht mehr einem neuen, feindlichen Tag zustreben zu lassen: die Sehnsucht nach endlicher und doch nie mehr endender Vereinigung erfüllt sie nun ganz. Ein einziger Wunsch: sterben.«202
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Pahlen, Kurt: Richard Wagner. Tristan und Isolde. München: Goldmann/Schott 1983, S. 134
Neben diesem romantischen Themenkomplex der einzig möglichen Erfüllung der Liebe im Tod ist die Figur des Tristans von einem Gewissenskonflikt geprägt: Liebe versus Ehre. Er verstößt gegen die ritterlichen Tugenden, indem er die für seinen Onkel, König Marke, ausgesuchte Braut Isolde liebt. Im Film ertönt die Musik samt ihrem Kontext zu Szenen, die den »ultimative[n] Bürgerkrieg«203
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Malle in French (1998), S. 151
zwischen Männern und Frauen darstellen. Es ist ein Krieg, in dem die Ehre über der Liebe steht, wie die Exekutionsszene zeigt: Ein Soldat umarmt und küsst eine Gefangene, die offensichtlich seine Frau oder Tochter ist, bevor er sie erschießt. Das Prinzip der in der Musik ausgedrückten Handlung ›Liebe anstelle von Ehre‹ wird folglich in diesem Krieg spiegelverkehrt projiziert, woraus sich ein kontrapunktisch-zynischer Effekt ergibt.204
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Auch in formaler Hinsicht gibt es einen Kontrapunkt: während die Handlung der Musik in der Nacht spielt, findet die Szene im Film im Morgengrauen statt.
Neben der Beziehung zum Kontext des Krieges, lässt sich die Musik auch mit Lilys Gefühlen verbinden. Louis Malle: »Die Figur, die sie verkörpert, bezieht sich noch am meisten auf die Tradition: ein heranwachsendes Mädchen, das all jene Ängste entdeckt, die durch die Musik in der ersten Szene angedeutet werden.«205
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Malle in French (1998), S. 153
Malle meint offensichtlich die Angst vor der Verantwortung; Tristan und Isolde müssen sich vor König Marke für ihr moralisches Fehlverhalten verantworten. Andererseits regt sich womöglich durch die Konfrontation mit Liebe in ihrer ekstatischsten Form bei Lily auch die Angst vor einer derart kompromisslosen Leidenschaft, die in den Tod mündet und die sie als Pubertierende noch nicht erlebt haben kann. Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, dass Malle die Musik nicht nur als ein weiteres, mysteriöses Symbol verwendet, sondern sie sowohl formal als auch inhaltlich mit dem Film in Verbindung treten und die Handlung kommen-

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