miteinander und interpretiert die Musik als Kommentar im Hinblick auf den Inhalt
der Handlung. Gertrud Koch hält zwar letztere Möglichkeit für verbitterte
Wagner-Apologie;200
die Parallelen und Anspielungen zwischen den beiden Kunstformen sind jedoch zu
deutlich, als dass man die Musik lediglich als pittoreskes Beiwerk betrachten
könnte.
Der erste Musikausschnitt begleitet Lily auf ihrer Autofahrt, bis sie in eine
Straßensperre gerät und das Radio ausschaltet. Nachdem sie zuvor bereits eine tote
Soldatin am Straßenrand gesehen hat, wird sie im Folgenden Zeugin der kaltblütigen
Exekution von Soldatinnen durch ihre männlichen Gegner. Diese Szene ist von einem
eklatanten Gegensatz zwischen Bildern und Musik gekennzeichnet. Der Ausschnitt
aus Wagners Drama zeigt das Liebespaar Tristan und Isolde, das im Schutze
der Nacht zueinander gefunden hat und nun in Weltentrücktheit und Ekstase
schwelgt.201
Auf eine genauere Darstellung des Inhalts des Musikdramas wird an dieser Stelle verzichtet.
Es sei auf übliche Opernführer und Csampai/Holland (1983) verwiesen.
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Leidenschaft und Liebe treten in dieser Hymne an die Nacht hervor, in der der Tag
negativ besetzt ist und nur die Nacht die schützende Dunkelheit gewähren
kann: »Es ist der Wunsch der Liebenden, diese Nacht nicht mehr einem neuen,
feindlichen Tag zustreben zu lassen: die Sehnsucht nach endlicher und doch
nie mehr endender Vereinigung erfüllt sie nun ganz. Ein einziger Wunsch:
sterben.«202
Pahlen, Kurt: Richard Wagner. Tristan und Isolde. München: Goldmann/Schott 1983,
S. 134
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Neben diesem romantischen Themenkomplex der einzig möglichen Erfüllung der
Liebe im Tod ist die Figur des Tristans von einem Gewissenskonflikt geprägt:
Liebe versus Ehre. Er verstößt gegen die ritterlichen Tugenden, indem er die
für seinen Onkel, König Marke, ausgesuchte Braut Isolde liebt. Im Film
ertönt die Musik samt ihrem Kontext zu Szenen, die den »ultimative[n]
Bürgerkrieg«203
Malle in French (1998), S. 151
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zwischen Männern und Frauen darstellen. Es ist ein Krieg, in dem die Ehre über der Liebe
steht, wie die Exekutionsszene zeigt: Ein Soldat umarmt und küsst eine Gefangene, die
offensichtlich seine Frau oder Tochter ist, bevor er sie erschießt. Das Prinzip der in der
Musik ausgedrückten Handlung ›Liebe anstelle von Ehre‹ wird folglich in diesem Krieg
spiegelverkehrt projiziert, woraus sich ein kontrapunktisch-zynischer Effekt
ergibt.204
Auch in formaler Hinsicht gibt es einen Kontrapunkt: während die Handlung der Musik in
der Nacht spielt, findet die Szene im Film im Morgengrauen statt.
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Neben der Beziehung zum Kontext des Krieges, lässt sich die Musik auch mit
Lilys Gefühlen verbinden. Louis Malle: »Die Figur, die sie verkörpert, bezieht
sich noch am meisten auf die Tradition: ein heranwachsendes Mädchen, das
all jene Ängste entdeckt, die durch die Musik in der ersten Szene angedeutet
werden.«205
Malle in French (1998), S. 153
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Malle meint offensichtlich die Angst vor der Verantwortung; Tristan und Isolde müssen
sich vor König Marke für ihr moralisches Fehlverhalten verantworten. Andererseits regt
sich womöglich durch die Konfrontation mit Liebe in ihrer ekstatischsten Form bei Lily
auch die Angst vor einer derart kompromisslosen Leidenschaft, die in den Tod mündet
und die sie als Pubertierende noch nicht erlebt haben kann. Bereits an diesem Beispiel
wird deutlich, dass Malle die Musik nicht nur als ein weiteres, mysteriöses Symbol
verwendet, sondern sie sowohl formal als auch inhaltlich mit dem Film in Verbindung
treten und die Handlung kommen-
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