- 130 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Das Zitat stammt aus einem Brief, den Mahler am 26. März 1896 an den Berliner Kritiker Max Marschalk geschickt hatte.5
5
Mahler, Briefe, S. 149.
Marschalk hatte einen längeren Ausschnitt aus dem Brief in einem Aufsatz über Mahler 1896 zitiert.6
6
Max Marschalk, Gustav Mahler, in: Die redenden Künste 3 (1896/97), S. 371–375.
Dem mehr als 20-seitigem Aufsatz Spechts von 1908 werden Worte Mahlers vorangestellt, in denen er bekennt, daß er dunkle Empfindungen in seiner Musik zum Ausdruck bringe, die er verbal nicht zu artikulieren in der Lage sei. Er bekennt damit also, daß seine Musik Visionäres enthalte.

Der Mahler-Nachruf Spechts in der gleichen Zeitschrift vom Juni 1911 übermittelt Mahlers Überzeugung, daß »der Schaffende in den Stunden der Inspiration das Erlebnis, das der Alltag später bringen müsse, im Produzieren schon antizipiere«. Er nennt ihn einen Verkünder der Zukunft, dessen Inspiration von den kühnsten Ahnungen bedrängt gewesen sei.7

7
Richard Specht, Gustav Mahler, in: Die Musik 10 (1910/11), Heft 18 (2. Juni-Heft), S. 340, 339, 337.

In Paul Stefans Mahler-Buch findet sich die Idee der Antizipation wieder, allerdings noch nicht in der im September 1910, also zu Lebzeiten Mahlers erschienenen Ausgabe, sondern erst in der »neuen, ergänzten und vermehrten Ausgabe« von 1912. Hier heißt es: »Mahler pflegte zu sagen, daß seine Werke vorausgenommene Erlebnisse seien. Das entspricht seiner visionären Natur und Sicherheit.«8

8
Paul Stefan, Gustav Mahler, 4. Auflage, 1912, S. 139.
Er setzt hier das Lied von der Erde zu Mahlers Tod in Beziehung.

Richard Specht greift in seinem größeren Mahler-Buch von 1913 die schon 1905 geäußerte Idee der Antizipation wieder auf und fügt hinzu, daß Mahler »fest davon überzeugt war, daß der Künstler in der Konzentration der inspirierten Stunde eine höhere Lebensstufe erreiche, die das Erlebnis des nachhinkenden Alltags vorwegnehme«.9

9
Specht, Mahler (1913), S. 161.
In diesem Buch nimmt er seine entsprechenden Formulierungen von 1911 (Die Musik) und 1912 (Der Merker) wieder auf.10
10
Richard Specht, Gustav Mahler, in: Die Musik 10 (1910/11), Heft 18 (2. Juni-Heft), S. 340; Ders.: Mahler, in: Der Merker 3 (1912), S. 162.
Dieser Gedanke scheint tatsächlich auf Mahler zurückzuführen zu sein, denn er korreliert mit seinem im III. Kapitel dieser Arbeit dargestellten Gedanken, daß auch er, Mahler selbst, das im Werk Mitgeteilte nicht gänzlich entschlüsseln könne.11
11
Mahler, Briefe, S. 254.
Im Vorwort zur Nachkriegsauflage seines größeren Mahler-Buches weist Specht die Auffassung zurück, er sei Mahler nahegestanden und in Freundschaft verbunden gewesen. Er habe niemals »mit ihm andere Gespräche als solche über künstlerische Herzenssachen und metaphysische Fragen geführt, niemals irgendeines, das menschlich-persönliche oder gar private Dinge betraf«12
12
Specht, Mahler (1918), S. 11.
. Mahler erwähnt ein Zusammentreffen mit Specht in Salzburg in einem Brief an Alma vom 18. August 1906: »bei Dessert kam bleich und etwas unsicher Specht an. – Strauss verabschiedete sich und ich wachte nun eine Stunde in stillem Gespräch [mit] Spechten13
13
Mahler, Briefe an Alma, S. 286.
Es dürfte also mehrfach Gespräche zwischen Mahler und Specht gegeben haben, was nicht ohne Belang ist, da Specht in der frühen Mahler-Rezeption eine entscheidende Rolle spielt.


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