- 162 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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  • Die Ausführungen Redlichs und Adornos lassen deutliche Spuren von der Sprach- und Bilderwelt des Expressionismus erkennen. In der Lyrik des Expressionismus vor 1914 wurde nach 1918 die Vorahnung des Krieges entdeckt. Somit spielt der Expressionismus auch bei der Entstehung der Interpretationskonstante eine Rolle. Im weiteren Sinne muß auch die Politisierung der Musik in den Zwanziger Jahren als Hintergrund für die Entstehung der Interpretationskonstante gesehen werden.
  • Paul Bekker tritt 1920 als erster dem Gedanken entgegen, in der Sechsten gehe eine Welt unter. Er sieht den Untergang allein als einen persönlichen, privaten. Der negative Schluß müsse innerhalb des Gesamtschaffens Mahlers gesehen werden, er werde durch die Siebte und Achte Symphonie positiv beantwortet. Der Marsch repräsentiere die Vorstellung von Fortschreiten und Bewegung.
  • Die Idee, Mahler habe in seiner Sechsten den Tod der Tochter und schließlich den eigenen Tod vorausgeahnt, geht auf Alma Mahlers einflußreiche Erinnerungen an Gustav Mahler von 1940 zurück. Sie ist früher im Mahler-Schrifttum nicht präsent. Die Äußerungen Alma Mahlers zu Leben und Schaffen ihres Mannes sind insgesamt von zweifelhafter Authentizität, wie im III. Kapitel ausgeführt wurde.
  • Die Diskussion, ob Mahler autobiographische oder überindividuelle Aussagen treffe, wurde auch an den Liedern geführt. Die Interpretationsgeschichte der Soldatenlieder zeigt gegenüber der Sechsten aber ein anderes Bild. Vor dem Ersten Weltkrieg fand man hier nur naive Soldatenromantik ohne jegliche Anzeichen eines negativen Soldatenbildes oder eines Untergangs. Einige Autoren erkannten Mahlers Wesen in den Liedern, ohne auf Einzelheiten einzugehen (Specht, Stefan, Piper). Zum Teil wurde die Frage nach der Wahl der Texte nicht gestellt. Erst nach dem Krieg nahm man das Düstere und Grausame und das zerstörerische Potential dieser Werke wahr und stellte schrittweise Bezüge zur Weltgeschichte her. Genau wie bei der Symphonie findet sich die Interpretation als Kriegsvorahnung zuerst im Mahler-Heft des Anbruch 1930. Der Interpretationswandel der Lieder steht – entsprechend dem der Sechsten Symphonie – im Kontext einer Politisierung der Musik in den Zwanziger Jahren.


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