- 272 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Sie alle [die Instrumente] vollbringen einen Heidenlärm und ergehen sich in den ärgsten Kakophonien. [. . . ] So viel sickert aus dem Programme, das dieser Sinfonie wie einer jeden Mahlerschen zugrunde liegt, aber geflissentlich verschwiegen wird, daß diese Sinfonie und besonders das Finale »tragisch« sein sollen und daß die dröhnenden Hammerschläge die Schicksalsschläge bedeuten. [. . . ] In wüstem Lärm und uferlosen Monstrositäten muß sich der Komponist ergehen, um den tragischen Ausdruck vorzutäuschen! [W07/L]

Und wenn die Durchführung beginnen soll, sind die gequälten Gedanken längst durch die tollsten Abenteuer geführt worden. Nun ist in der nervösen Hast und Aufregung weiter keine organische Steigerung zu erzielen – da setzt denn der sinnlos wütende Schlaglärm ein, und Töne, Tonfolgen, Gegensätze sind gar nicht mehr zu unterscheiden. [. . . ] die tragische Sinfonie [. . . ] Ein Ruck aber, ein Blitz, und die Partitur wird für Momente unschuldig naiv, schlicht, einfältig; sie scheint sich plötzlich unter den Schutz der Klassiker zu stellen; die springenden Bogen werden besänftigt. Aber diese künstlich angenommene Ruhe ist einem normalen Gemüte erst recht unerträglich – es ist das Lächeln eines Gespenstes, spitz, höhnisch und kalt. [W07/M]

  Formale Aspekte

Harmonik


Seine Harmonien sind mit ungeheuerlichen Effektmitteln überladen und verraten durch das Chaos der Dissonanzen und ihre alles zerschmetternde Wucht [E06/B],

diese zudem so diatonische Musik [. . . ] [E06/E]

Die Harmonien sind eigenartig [E06/d]

seine ausgeprägte Neigung, in der Anwendung dissonierender Klänge gipfelnd [E06/g]

daß er [. . . ] auch vor den kühnsten Tonverbindungen und Disharmonien nicht zurückschreckt [B06/D]

Denn deutlich ist zu merken, daß dem Komponisten auch die Bildung der Harmonie nur insoweit von Belang ist, als sie den Reiz der Kangfarbe intensiver gestalten oder dessen Dämmerung charakteristisch mitbestimmen kann. Daher diese rastlose Nervosität der Harmonisierung, die kam da und dort einen Contouransatz aufkommen läßt . . . dies Alles zugestanden vermißt man schließlich doch die Konsequenz dieses subjektiven musikalischen Treibens. [W07/A]

Man kann bei Mahler nicht bloß von Dissonanzen der Harmonie und Stimmführung, sondern auch von instrumentalen Dissonanzen sprechen. [. . . ] Der erste Hauptgedanke [des 4. Satzes] entbehrt nicht der Vorzüge der Themenbildung Mahlers, kräftiger Diatonik [W07/H]

Kontrapunktik


mit seinem kontrapunktischen [. . . ] Liniengewirr [W07/F]

Motto


Scharfmarkierten Paukenschlägen folgen zwei, im weiteren Verlauf zu besonderer Bedeutung gelangende Akkorde: A dur, A moll. [E06/V]

es sei denn, daß man den merkwürdigen Verwandlungsdreiklang von Dur in Moll, den das gesamte Orchester zum Entsetzen des Hörers an jedem vermeintlichen Höhepunkt fortissimo ausstößt, und der zum Schluß sogar durch Hammerschläge verstärkt wird, als eine Uebertrumpfung der leeren Quinte in der »Neunten« Beethovens nehmen und ihm eine »symbolische« Bedeutung unterlegen will. [W07/C]

Vorher hat sich schon in den Trompeten jenes harmonische Motiv gemeldet, das, offenbar eine Symbolisierung des tragischen Helden, durch die ganze Symphonie geht: ein schmetternder Durdreiklang, der kraftlos, wie vernichtet, in den Molldreiklang zurücksinkt. Wir versuchen keine Deutungen dieses Hamlet-Gedankens, [W07/H]


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