- 354 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Für den heutigen Menschen, der den Weltkrieg und die neuere Musikentwicklung mitgemacht hat, birgt diese gewiß geniale Schilderung eines in titanischem Ringen mit sich selbst und der Welt liegenden Künstlers wohl kaum viel Rätselhaftes, so sehr ihm die Ausbrüche der Leidenschaft, das dämonisch-phantastische und wild ekstatische seiner Tonsprache Bewunderung abnötigt. [W33/G]
Sie kennzeichnet in der Tat die schwerste und düsterste Phase in Mahlers Ringen um sinfonischen Ausdruck. Fast möchte man sagen, daß sie eigentlich mehr der Entwicklungsgeschichte des Mahlerschen Schaffens angehört als diesem selbst, daß sie eine sinfonische Auseinandersetzung weniger darstellt und sublimiert, als coram publico austrägt. Die Sechste gibt gleichsam den Blick in die Werkstatt des Künstlers frei: man sieht ihn an der Schmiede seiner Gedanken, den Hammer schwingend [. . . ] man sieht ihn in körperlichem Zweikampf mit den sinfonischen Gespenstern, zu deren Bewältigung er sein Konzept immer, immer höher, immer großartiger spannt. Das ist ein gewaltiges geistiges Abenteuer, erschütternd, imponierend, furchtbar. . . [. . . ] Je größer der Trubel, die Aufgewühltheit, die Nervosität im Kampffeld einer Partitur [W33/H]

  Formale Aspekte

Harmonik


den Hörer aber auch entschädigt durch eine Fülle harmonischer [. . . ] Kombinationen [F20/B]

mit gelegentlicher bewußter Disharmonie [Wb21/B]

eine kühne Kontrapunktik der Stimmen, wodurch die Harmonik leicht herb und scharfkantig erscheint. [Wb21/D]

Dreiklang, Dreiklang? Auch die Sechste hält durchwegs, auch in der Themenbildung, am Evangelium der Diatonik fest. [. . . ] Was sich da an mißtönigen Reibungen ergibt, macht Mahler den Neumusikern so sympathisch, ihn den diatonischen, ganz in Seelenhaftigkeit, Geist, metaphysischer Sehnsucht aufgehenden Mahler, den atonalen, alles Seelische und Gefühlsmäßige in Konstruktion, Spiel und Groteske verplattenden Neumusikern. [W33/E]

Kontrapunktik


eine kühne Kontrapunktik der Stimmen [Wb21/D]

Welche Hypertrophie des Klanges in diesem bellum contrapuncticum contra omnes der Stimmen, von denen jede, einzelne Thementeile erhaschend, ein Sonderleben führen möchte [K27/B]

Motto


das Grundmotiv, der Dur-Moll-Dreiklang auf der gleichen Stufe – ist für die harmonische anlage hier und auch weiterhin entscheidend. [Wb21/D]

den das ganze durchziehenden symbolischen Akkord A-dur verweist, der sich nach Moll umdüstert [H21/F]

Der Zusammenklang von C-dur und C-moll, das bezeichnende Hauptmotiv der Symphonie, ist ebenso richtunggebend für Mahlers hell-dunkle Mischtöne der Instrumentation und das »Brahmsische« Moll-Dur [A26/A]

und bald erscheint jener, durch die ganze Sinfonie gehende schmetternde Durdreiklang mit sogleich, wie vernichtet, nach Moll gewendeter Terz, der als Symbol des in seinem Kampfe gegen das Starre, Stumpfe, Niederzwingende dem Pessimismus verfallenden Helden der Sinfonie anzusehen ist. [K27/B]

Der erste Satz, der in dem A-Dur-A-Moll-Akkord der Sinfonie das Motto gibt [K27/C]

Ein motivisches Grundgebilde, dessen symbolische Bedeutung kaum zu überhören ist, geht durch das Werk: Ein A-Dur-Dreiklang fällt kraftlos, wie vernichtet, in den A-Moll-Dreiklang zurück. Einen Hamlet-Gedanken nannten wir das einmal. [W33/E]


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