- 16 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO 
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Die Gründe für diese Zurückhaltung sind leicht zu finden. Erstens mangelt es nach wie vor an technischen Möglichkeiten, Musikaufnahmen in Bezug auf Dynamik, Artikulation und Klangfarbe auf präzise Weise zu analysieren. Wenn auch im Bereich des DSP (Digital Signal Processing, digitale Signalbearbeitung) in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht wurden – für eine Anwendung im musikwissenschaftlichen Bereich bleiben sie nur in sehr begrenztem Umfang nützlich.

Ein zweiter Grund für das mangelnde Interesse an der Performanceforschung ist die Tatsache, dass gewonnene Erkenntnisse über ein Werk sich nur teilweise – wenn überhaupt – auf andere Werke übertragen lassen: »Most decisions regarding performance and most realms of interpretive decision making involve analysis in the perspectives of a particular composition rather than on any basis of abstracted common principles« (Berry [1989], S. 217). Wenn sich auch verschiedene Werke eines Komponisten oder einer Epoche stilistisch ähneln, so ist es hauptsächlich die ›interne Logik‹ eines jeweiligen Stückes, die für eine Performance ausschlaggebend ist. Den gewonnenen Erkenntnissen über ein Werk ist ein Anspruch auf Universalität – und mit ihr auf wissenschaftliches Interesse – kaum gewährt.

Der dritte und wahrscheinlich wichtigste Grund für das mangelnde Interesse an Performanceforschung ist in der Tatsache zu finden, dass selbst bei hervorragenden Musikern – und vielleicht gerade bei ihnen – der größte Teil der Interpretationsgestaltung instinktiv vor sich geht:

Despite a number of seminal explorations, the study of how interpretive decision follows the analysis of form and structure remains subsidiary to other interests of music theorists and performers. This is due in part, I believe, to the wide acceptance of intuitive bases for interpretive choices, as opposed to articulate justifications derived from serious analysis (Berry [1989], S. 7).

Musiker, Musikwissenschaftler und Zuhörer zugleich scheinen die Tatsache zu akzeptieren, dass Interpretationen aus einem intuitiv-ästhetischen Vorgang heraus geformt werden. Stange-Elbe bemerkt aber, dass die Positionen auf diesem Gebiet noch viel spitzer sind, als Berry sie formuliert hat:

Da Musik starke subjektive und emotionale Anteile hat, haben viele Musiker und – unverständlicher Weise – Musikwissenschaftler immer noch Ressentiments gegenüber einer Objektivierung ihres Subjekts der Kreativität. Ratio versus Seelenkunst, die sich – wurzelnd im Geniekult – in der Verehrung des schaffenden und nachschaffenden Künstlers abzeichnet, bilden hierbei die Gegenpole (Stange-Elbe [1999], S. 10).

Mit meiner eigenen Erfahrung als Forscher kann ich Stange-Elbes Bemerkung nur bestätigen. Ein erstaunlich hoher Anteil der Musikwissenschaftler, denen ich mein Forschungsvorhaben erklärte, vertraten die Meinung, dass die Gestaltung einer musikalisch sinnvollen Performance basierend auf analytischen Ergebnissen nicht funktionieren könne. Einige fanden die Idee an sich sogar leicht absurd. Der größte, von einer starken Emotionalität geprägte Widerstand war aber seitens der Musiker zu spüren. Die meisten, die angesprochen wurden, ließen sogar deutlich spüren, dass eine solche Interpretationsgestaltung gar nicht funktionieren dürfe. Für sie schien der intuitive Prozess eine wissenschaftlich-analytische Begründung definitiv auszuschließen. Trotz dieses Widerstandes soll aber im Rahmen dieser Arbeit postuliert


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