- 17 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO 
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werden, dass intuitive und wissenschaftlich begründbare Interpretationsgestaltungen sich nicht von vorneherein gegenseitig ausschließen. Die Frage, inwiefern sie sich ähneln oder ergänzen, wird aber wahrscheinlich noch über Jahre hinweg offen bleiben werden.

Die Performanceforschung ist ein breites Feld, selbst dann, wenn sie nur aus einer musikanalytischen Perspektive betrieben wird. Um den Platz dieser Arbeit in der aktuellen Forschung präziser zu definieren, sollen nun zwei wichtige Ansätze vorgestellt werden, an denen hier angeknüpft werden soll: die strukturelle Performanceforschung und die sog. Synthesis-by-Rules.

2.1.1.  Strukturelle Performanceforschung

Die strukturelle Performanceforschung beschäftigt sich allgemein mit den Beziehungen zwischen der musikalischen Struktur und ihrer akustischen Umsetzung. Auf diesem Gebiet bildet – zumindest in der anglosäxischen Musikwissenschaft – Wallace Berrys Musical Structure and Performance (Berry [1989]) eine wichtige Quelle. Der Grund hierfür liegt wahrscheinlich in der Tatsache, dass der Autor, langjähriger Professor an der University of British Columbia, die drei für das Verständnis der Interpretationsprozesse wichtigsten Tätigkeiten ausgeübt hat: Er war gleichzeitig erfolgreicher Komponist, Pianist und Musiktheoretiker. Sein Buch zeigt ein tiefes Verständnis für alle drei musikalischen Aspekte, das bis heute noch nicht übertroffen wurde.

Sieht man von der MaMuTh und der auf ihr aufbauenden Interpretationsgestaltung ab, sind Berrys Ansätze denen dieser Arbeit nicht unähnlich. Er benutzt eine eigene Technik der parametrischen Analyse, um Werke oder Ausschnitte einer detaillierten Analyse zu unterziehen. In Eintracht mit seinem Postulat, dass die Qualität eines Werkes unter anderem darin besteht, mehrere Deutungen zuzulassen, präsentiert Berry zu jedem Stück verschiedene analytische Perspektiven. Hauptziel des Unterfangens ist es, dem Interpreten zu helfen, bei der Interpretationsgestaltung akkurate Entscheidungen zu treffen: »If, as commonly conceded, there is no ›best‹ or ›correct‹ interpretation of a piece, there are nonetheless infinite possibilities of misrepresenting, and of interpretive intrusion; analysis must often tell the performer what should not be done« (Berry [1989], S. 10). Dabei wird der Oberfläche der Musik – den unmittelbar hörbaren, in einem sehr kleinen Rahmen3

3 Mit den Ausdrücken ›kleiner Rahmen‹, ›mittlerer Rahmen‹ und ›großer Rahmen‹ soll in dieser Arbeit auf die Ausmaße des betrachteten Ausschnitts verwiesen werden. Motive werden beispielsweise in einem kleinen, formale Aspekte jedoch in einem großen Rahmen analysiert.

betrachteten Strukturen wie z. B. Motiven – eine bedeutendere Rolle als den formellen Einteilungen zugeteilt. Dies geschieht ganz im Sinne von Adorno: »Die zentrale Aufgabe der Interpretation ist nicht in der Formorganisation des Ganzen oder der einzelnen Stücke zu suchen sondern im Gewebe, der Mikrostruktur der Stücke« (Adorno [1976], S. 281). Wie Berry selbst zugibt, birgt aber eine solche Verschiebung des Schwerpunktes auf das Detail die Gefahr, das Gesamtbild eines Stückes aus den Augen zu verlieren: »I acknowledge that we are at times content with absorption in lavish surface color and nuance which may well be affecting; and it may be doubted that genuinely convincing balance between detail and the organic whole is commonly achieved in performance« (Berry [1989], S. 7).


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