Die wichtigste Erkenntnis dieser
Studie war aber wohl, dass alle Musiker, die an ihr teilgenommen haben, eine
sehr ähnliche Vorstellung darüber hatten, wie der Notentext verformt werden
sollte.
Sundbergs Ansätze können hier aufgrund ihres spezifischen Charakters nicht direkt
umgesetzt werden, da sie mit Rubatos theoretischer Grundlage nicht kompatibel sind:
Wo Mazzola ein recht strenges und abstraktes mathematisches Modell als Hintergrund
für die Interpretation benutzt, schöpft Sundberg seine Regeln dagegen in der konkreten
Musizierpraxis. Die Modellierung einer Interpretation durch einen Musiker, die
computergestütze Performance sowie die anschließende empirische Bewertung des
Resultats sind jedoch drei wichtige Aspekte dieser Arbeit, die von Sundbergs
Untersuchungen übernommen werden sollen.
2.2. Chopinforschung
Über Chopins Leben und Werke sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Arbeiten
erschienen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Forschungsschwerpunkte oder der
bedeutendsten Durchbrüche auf diesem Gebiet würde den Rahmen dieser Arbeit bei
weitem sprengen. Für einen Überblick der Chopinforschung sei stattdessen auf
die einleitenden Artikel des MGG (Eigeldinger [1994]) und des New Grove
(Michaowski/Samson [2001]), sowie auf Samson [1985] und Samson [1996]
verwiesen. Im Hinblick auf die Ziele dieser Arbeit sollen hier lediglich zwei Themen
behandelt werden: der Stand der Performanceforschung über Chopins Werke und ein
Überblick der existierenden Analysen der beiden Etüden Op. 25 Nr. 11 und
12.
2.2.1. Performanceforschung über Chopins Werke
Chopins Werke sind von unterschiedlichen Interpreten mehrmals aufgenommen worden.
Artikel und Bücher über diese Werke sind ebenfalls zahlreich erschienen. Im
Vergleich zu diesen beiden sehr produktiven Gebieten ist erstaunlich wenig über
die Interpretation dieser Werke geschrieben worden. Kański schreibt zu dieser
Tatsache:
Das Problem der musikalischen Aufführung überhaupt und das Problem der
Interpretation der Werke Chopins im besonderen ist äußerst interessant und
seltsam könnte die Tatsache erscheinen, dass es bisher nicht in breiterem Maße
in den Gesichtskreis der fachlichen Erörterungen der Musikwissenschaftler
gelangt ist. Es scheint, als hätten die Theoretiker dieses Problem den
reproduzierenden Künstlern überlassen, die ihrerseits in der Regel eine
entschiedene Abscheu vor der Feder haben (Kański [1963], S. 444).
Neben diesem Problem kann ein anderes für den Mangel an Literatur verantwortlich
gemacht werden: Die Frage, wie Chopins Musik gespielt werden sollte, ist nämlich – wie
bei fast allen Komponisten – nicht eindeutig lösbar. Ist man als Interpret der Ansicht,
dass eine ›authentische‹ Interpretation die bestmögliche sei, so müsste man durch
historische und stilistische Recherchen herausfinden, was diese Authentizität ausmacht.
Rink fasst diese Problematik gut zusammen:
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