Ein letztes wichtiges Merkmal von LaRues Guidelines betrifft die systematische
Erstellung von drei Kategorien an allen Stellen, an denen eine große Anzahl von Stufen
die Analyse erschwert: »We will often find it useful to arrange observations in three-part
hierarchies. This ›Rule of Three‹ derives from Aristotle’s method of establishing
means and extremes. For almost any characteristic we can propose a range of
intensity from most to least, but any gradations in between can arouse justifiable
disagreement. The practical solution is to consider ›in between‹ as a third category«
(LaRue [1992], S. 5). Solche Dreiteilungen werden in dieser Arbeit mehrmals
vorgenommen.
3.2.1. Der Platz von LaRues Analysetechnik in der Musikwissenschaft
LaRues Guidelines sollten als eine Art Werkzeugkasten für die stilistische Analyse
verstanden werden:
The present framework, though arranged categorically for ease in use,
originated not as a theoretical method, but rather as a distillation of
experience, organized systematically to remind us of the potentials of any piece
whatever. Rather than a set of pigeon-holes, it is a flexible mesh through which
the music passes, leaving a network of tracings from which we perceive the
essence of style (LaRue [1992], S. vii).
Mit einer solchen Vorgehensweise schlägt LaRue eine Systematisierung der Arbeitsweise
in der Analyse vor: Anstatt auf gut Glück oder vom Instinkt getrieben nach
interessanten Merkmalen eines Stückes zu suchen, ist es mit LaRue möglich, diese Suche
methodisch zu gestalten. In diesem Punkt unterscheidet sich der Autor deutlich von der
deutschen musikwissenschaftlichen Tradition, die meines Wissens keine vergleichbare
Technik vorweisen kann.
Der Einfluss der LaRueschen Analyse auf die Musikwissenschaft ist schwer zu
erkennen. Dies liegt hauptsächlich an ihrer Eigenschaft, sich wie ein Werkzeugkasten zu
benehmen: Wie man nur mit Mühe an einem fertigen Gebäude erkennen kann, welche
Werkzeuge zu seinem Bau benutzt wurden, so ist die Identifizierung eines klaren
Einflusses von LaRue in musikwissenschaftlichen Arbeiten nur in seltenen Fällen
möglich. Selbst in seinen eigenen Arbeiten (z. B. in Brody/LaRue [1986]) kann man nur
implizit seine Technik erkennen. Neben meiner Masterarbeit (Hinz [2001]) ist der einzige
mir bekannte Fall einer eindeutigen Benutzung dieser Technik die Doktorarbeit von
Robert Sharon (Sharon [1982]). Ein zweiter Faktor, der sich gegen die Verbreitung der
Guidelines gerichtet haben kann, ist die Tatsache, dass in der Musikwissenschaft
Techniken ein niedrigeres Ansehen als Methoden genießen. Trotz dieser Sachverhalte,
und trotz der Tatsache, dass LaRues parametrische Analyse im deutschsprachigen Raum
so gut wie unbekannt ist, sollte der Einfluss der Guidelines auf die Musikwissenschaft
angelsächsischer Tradition nicht unterschätzt werden. Dies zeigt sich daran, dass im
Jahre 1992 – 22 Jahre nach der Ersterscheinung – eine zweite Ausgabe veröffentlicht
wurde. Ganze Generationen von Musikstudenten haben mit diesem Buch gelernt,
vielversprechende analytische Hypothesen zu finden und darzulegen, was mit
Sicherheit einen markanten Einfluss auf ihre musikanalytischen Reflexe hinterlassen
hat.
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