6.4. Kulturpolitische Bewußtseinsänderung
Aus den Analysen der vorliegenden Studie lassen sich folgende Konsequenzen für eine
zukunftsweisende Orchesterpädagogik mit kulturpolitischer Tragweite ableiten: Findet ein
Laienorchester einen Weg zur Emanzipation seiner Bildungserwartungen im
oben beschriebenen Sinne, so ist damit auch die Ausprägung eines reflektierten
Selbstverständnisses verbunden. Spätestens in diesem Stadium, nach der begrifflichen
Typologisierung ihres Orchestermusizierens befragt, äußern die Vertreter der Ensembles
vergleichbare Kritik am gegenwärtig uneinheitlichen und überwiegend negativ besetzten
Sprachgebrauch. Alle vier im Umlauf befindlichen Termini ›Laien‹, ›Amateure‹, ›Liebhaber‹
und ›Dilettanten‹ werden von der überwiegenden Mehrheit als nicht zutreffend,
unzeitgemäß oder abqualifizierend empfunden (vgl. Kap. 5.3.2). Besonders die Begriffe
›Dilettant‹ und ›Liebhaber‹ werden abgelehnt. Ersterer gilt per se als Negativbegriff,
der – vom etymologischen Ursprung abgelöst – oberflächliche Sachunkenntnis
impliziert.36
36 MACKENSEN, S. 100; WAHRIG, S. 137.
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Letzterer wird zunehmend – vor allem von den Nachkriegsgenerationen – als
anachronistisch und als Synonym für historisch definiertes Kleinbürgertum und
Lebensgefühl des Biedermeier gesehen. Die größte Akzeptanz erfahren noch die Begriffe
›Laie‹ und ›Amateur‹, letzterer eher in Assoziation zum Amateurbereich des Sports
denn zur wörtlichen deutschen Übersetzung. Da im öffentlichen kulturpolitischen
Sprachgebrauch zunehmend vom ›Laienmusizieren‹ die Rede ist, erfährt diese
Bezeichnung im allgemeinen Bewußtsein allmählich eine Wandlung weg von der
dem ›Dilettanten‹ entsprechenden Beschreibung einer Sachunkenntnis hin zu
einem Gegenstück zur erwerbsmäßigen Berufstätigkeit. Dabei wird die geringere
Fachqualifikation als nachgeordnetes Kriterium gesehen oder sogar neutral
eingestuft. Eine Betonung gerade des Charakteristikums der nicht erwerbsmäßigen
Berufstätigkeit scheint aber notwendig, um die »wesentlich anderen« und
vielschichtigen »Inhalte, Musikformen und Musikformationen« zu benennen,
die außerhalb des kommerziellen Musikbetriebes existieren, der den schlichten
Begriff ›Musiker‹ mit ›professionell‹ und ›hauptberuflich‹ gleichsetzt und für sich
reserviert.37
BOMBA macht für diese begriffliche Abgrenzung das »Denken einer Gesellschaft
in Kategorien von Übersichtlichkeiten, Dienstleistungen und Konsum«
verantwortlich.38
Repertoire und Tonträger (z.B. des Deutschen Orchesterwettbewerbs)
dokumentieren jedoch, daß das Kriterium ›haupt- oder nebenberuflich‹ nicht
mehr berechtigt ist, gleichzeitig die Information ›künstlerisch professionell‹ oder
›künstlerisch nicht- professionell‹ zu transportieren. Die erwachsenenpädagogische
Definition von ›professionell‹ als »arbeitsteilig, theoretisch begründet und
erfolgskontrolliert«39
greift mittlerweile gleichermaßen bei Berufsorchestern und hochqualifizierten
Laienorchestern. Wenn die erwerbsmäßige Berufstätigkeit jedoch zum vorrangigen
Unterscheidungsmerkmal geworden ist, sollte dieses Kriterium auch den Sprachgebrauch
regeln und zwischen ›Musikern‹ und ›Berufsmusikern‹ unterscheiden. Der Deutsche
Musikrat geht bereits diesen Weg, indem dieselbe Veranstaltung 1986 noch als »1. Deutscher
Laienorchesterwettbewerb«, seit 1992 jedoch als »Deutscher Orchesterwettbewerb«
veranstaltet wird.
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