- 169 -Kayser-Kadereit, Claudia: Das Laiensinfonieorchester im Horizont von Anspruch und Wirklichkeit 
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6.4.  Kulturpolitische Bewußtseinsänderung

Aus den Analysen der vorliegenden Studie lassen sich folgende Konsequenzen für eine zukunftsweisende Orchesterpädagogik mit kulturpolitischer Tragweite ableiten: Findet ein Laienorchester einen Weg zur Emanzipation seiner Bildungserwartungen im oben beschriebenen Sinne, so ist damit auch die Ausprägung eines reflektierten Selbstverständnisses verbunden. Spätestens in diesem Stadium, nach der begrifflichen Typologisierung ihres Orchestermusizierens befragt, äußern die Vertreter der Ensembles vergleichbare Kritik am gegenwärtig uneinheitlichen und überwiegend negativ besetzten Sprachgebrauch. Alle vier im Umlauf befindlichen Termini ›Laien‹, ›Amateure‹, ›Liebhaber‹ und ›Dilettanten‹ werden von der überwiegenden Mehrheit als nicht zutreffend, unzeitgemäß oder abqualifizierend empfunden (vgl. Kap. 5.3.2). Besonders die Begriffe ›Dilettant‹ und ›Liebhaber‹ werden abgelehnt. Ersterer gilt per se als Negativbegriff, der – vom etymologischen Ursprung abgelöst – oberflächliche Sachunkenntnis impliziert.36

36 MACKENSEN, S. 100; WAHRIG, S. 137.
Letzterer wird zunehmend – vor allem von den Nachkriegsgenerationen – als anachronistisch und als Synonym für historisch definiertes Kleinbürgertum und Lebensgefühl des Biedermeier gesehen. Die größte Akzeptanz erfahren noch die Begriffe ›Laie‹ und ›Amateur‹, letzterer eher in Assoziation zum Amateurbereich des Sports denn zur wörtlichen deutschen Übersetzung. Da im öffentlichen kulturpolitischen Sprachgebrauch zunehmend vom ›Laienmusizieren‹ die Rede ist, erfährt diese Bezeichnung im allgemeinen Bewußtsein allmählich eine Wandlung weg von der dem ›Dilettanten‹ entsprechenden Beschreibung einer Sachunkenntnis hin zu einem Gegenstück zur erwerbsmäßigen Berufstätigkeit. Dabei wird die geringere Fachqualifikation als nachgeordnetes Kriterium gesehen oder sogar neutral eingestuft. Eine Betonung gerade des Charakteristikums der nicht erwerbsmäßigen Berufstätigkeit scheint aber notwendig, um die »wesentlich anderen« und vielschichtigen »Inhalte, Musikformen und Musikformationen« zu benennen, die außerhalb des kommerziellen Musikbetriebes existieren, der den schlichten Begriff ›Musiker‹ mit ›professionell‹ und ›hauptberuflich‹ gleichsetzt und für sich reserviert.37
37 BOMBA, S. 15.
BOMBA macht für diese begriffliche Abgrenzung das »Denken einer Gesellschaft in Kategorien von Übersichtlichkeiten, Dienstleistungen und Konsum« verantwortlich.38
38 BOMBA, S. 15.
Repertoire und Tonträger (z.B. des Deutschen Orchesterwettbewerbs) dokumentieren jedoch, daß das Kriterium ›haupt- oder nebenberuflich‹ nicht mehr berechtigt ist, gleichzeitig die Information ›künstlerisch professionell‹ oder ›künstlerisch nicht- professionell‹ zu transportieren. Die erwachsenenpädagogische Definition von ›professionell‹ als »arbeitsteilig, theoretisch begründet und erfolgskontrolliert«39
39 ARNOLD, S. 201f.
greift mittlerweile gleichermaßen bei Berufsorchestern und hochqualifizierten Laienorchestern. Wenn die erwerbsmäßige Berufstätigkeit jedoch zum vorrangigen Unterscheidungsmerkmal geworden ist, sollte dieses Kriterium auch den Sprachgebrauch regeln und zwischen ›Musikern‹ und ›Berufsmusikern‹ unterscheiden. Der Deutsche Musikrat geht bereits diesen Weg, indem dieselbe Veranstaltung 1986 noch als »1. Deutscher Laienorchesterwettbewerb«, seit 1992 jedoch als »Deutscher Orchesterwettbewerb« veranstaltet wird.

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