Nach Adorno hat die Unterhaltungsmusik einen manipulativen und integrativen
Charakter. Die Standardisierung, durch welche die Massenkultur gekennzeichnet ist,
stellt für Adorno den Schlüsselbegriff zur Unterscheidung der E- und U-Musik dar: Der
Standardisierung der Komposition der U-Musik wird die Autonomie der E-Musik
gegenübergestellt. Der von Adorno genannte Prototyp der Standardisierung
ist der Schlager. Die Standardisierung des Schlagers zeigt sich in seinen
strukturellen Merkmalen: in einer 32-taktigen Form mit einer bridge, einem zur
Wiederholung überleitenden Teil in der Mitte, dem Ambitus von einer Oktave,
den harmonischen Verhältnissen, den Typen der Musik und den Tanzformen
etc.35
Vgl. Adorno, T. W., Einleitung in die Musiksoziologie, Frankrfurt a. M.: Suhrkamp, 1992,
S. 39–40.
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Die
Standardisierung der Komposition zielt dabei auf standardisierte Reaktionen des Hörers: »Easy
Listening«.36
Ein Aspekt der Standardisierung ist Pseudo-Individualisierung. Nach Adorno täuscht
sie dem Hörer eine Wahlfreiheit vor, indem sie ihm suggeriert, die U-Musik, die
eigentlich ein Massenprodukt ist, frei nach dem persönlichen Bedürfnis ausgewählt zu
haben. Die Hörer vergessen dabei, dass die Musik bereits »vorverdaut« ist. Als
anschauliches Beispiel dafür führt Adorno die Improvisationen im kommerziellen Jazz
an, die bereits vorprobiert sind und sich auf ein Minimum an Grundformen reduzieren
lassen, dennoch als Erfindung des Augenblicks und der Eigenartigkeit hervorrufen
sind.37
Vgl. ebd., S. 46–47. Adorno bezieht sich nicht auf derzeitige Jazzformen, sondern auf Swing,
Musicals und andere »kitschige« Jazzformen.
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Die standardisierte U-Musik, die die geschonte Immergleichheit
voraussetzt,38
hat Adorno zufolge eine soziale Wirkung, die der Identifikation:
Sie [die Schlager] beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der
Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen
ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal ihnen sagt, sie müßten sie haben. [...]
Das Element des ästhetischen Scheins, die Aufhebung der Kunst von der
empirischen Realität, wird in ihnen dieser zurückerstattet, indem der Schein
im tatsächlichen psychischen Haushalt für das eintritt, was den Hörenden
real versagt
ist.39
Die U-Musik proklamiert somit das Bedürfnis nach Entspannung von den
anstrengenden Arbeitsprozessen als ihrer eigenen Norm, wobei sich die geförderte
Passivität dem Gesamtsystem der Kulturindustrie einfügt und Verdummung
verursacht.40
Die Kritik an der U-Musik als Kulturindustrie verschärft die Polarisierung der E- und
U-Musik ideologisch-kritisch, so dass die Musik entweder zum Erkenntnischarakter der
autonomen Kunst tendiere, oder für den gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang
bürge. Unter der Autonomie der Musik versteht Adorno nicht nur die Unabhängigkeit
von sozialen Funktionen, sondern auch diejenige von kompositorischen Normen. So
entfalte sich die Autonomie der E-Musik als werkimmanente Logik kompositorischer
Sachverhalte, welche wiederum die Idee der Autonomie gegen die kapitalistische
Gesellschaft ausdrückt.
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