- 27 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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Nach Adorno hat die Unterhaltungsmusik einen manipulativen und integrativen Charakter. Die Standardisierung, durch welche die Massenkultur gekennzeichnet ist, stellt für Adorno den Schlüsselbegriff zur Unterscheidung der E- und U-Musik dar: Der Standardisierung der Komposition der U-Musik wird die Autonomie der E-Musik gegenübergestellt. Der von Adorno genannte Prototyp der Standardisierung ist der Schlager. Die Standardisierung des Schlagers zeigt sich in seinen strukturellen Merkmalen: in einer 32-taktigen Form mit einer bridge, einem zur Wiederholung überleitenden Teil in der Mitte, dem Ambitus von einer Oktave, den harmonischen Verhältnissen, den Typen der Musik und den Tanzformen etc.35
35
Vgl. Adorno, T. W., Einleitung in die Musiksoziologie, Frankrfurt a. M.: Suhrkamp, 1992, S. 39–40.
Die Standardisierung der Komposition zielt dabei auf standardisierte Reaktionen des Hörers: »Easy Listening«.36
36
Ebd., S. 45.

Ein Aspekt der Standardisierung ist Pseudo-Individualisierung. Nach Adorno täuscht sie dem Hörer eine Wahlfreiheit vor, indem sie ihm suggeriert, die U-Musik, die eigentlich ein Massenprodukt ist, frei nach dem persönlichen Bedürfnis ausgewählt zu haben. Die Hörer vergessen dabei, dass die Musik bereits »vorverdaut« ist. Als anschauliches Beispiel dafür führt Adorno die Improvisationen im kommerziellen Jazz an, die bereits vorprobiert sind und sich auf ein Minimum an Grundformen reduzieren lassen, dennoch als Erfindung des Augenblicks und der Eigenartigkeit hervorrufen sind.37

37
Vgl. ebd., S. 46–47. Adorno bezieht sich nicht auf derzeitige Jazzformen, sondern auf Swing, Musicals und andere »kitschige« Jazzformen.

Die standardisierte U-Musik, die die geschonte Immergleichheit voraussetzt,38

38
Ebd., S. 40.
hat Adorno zufolge eine soziale Wirkung, die der Identifikation:

Sie [die Schlager] beliefern die zwischen Betrieb und Reproduktion der Arbeitskraft Eingespannten mit Ersatz für Gefühle überhaupt, von denen ihr zeitgemäß revidiertes Ich-Ideal ihnen sagt, sie müßten sie haben. [...] Das Element des ästhetischen Scheins, die Aufhebung der Kunst von der empirischen Realität, wird in ihnen dieser zurückerstattet, indem der Schein im tatsächlichen psychischen Haushalt für das eintritt, was den Hörenden real versagt ist.39

39
Ebd., S. 41.

Die U-Musik proklamiert somit das Bedürfnis nach Entspannung von den anstrengenden Arbeitsprozessen als ihrer eigenen Norm, wobei sich die geförderte Passivität dem Gesamtsystem der Kulturindustrie einfügt und Verdummung verursacht.40

40
Ebd., S. 45.

Die Kritik an der U-Musik als Kulturindustrie verschärft die Polarisierung der E- und U-Musik ideologisch-kritisch, so dass die Musik entweder zum Erkenntnischarakter der autonomen Kunst tendiere, oder für den gesellschaftlichen Verblendungszusammenhang bürge. Unter der Autonomie der Musik versteht Adorno nicht nur die Unabhängigkeit von sozialen Funktionen, sondern auch diejenige von kompositorischen Normen. So entfalte sich die Autonomie der E-Musik als werkimmanente Logik kompositorischer Sachverhalte, welche wiederum die Idee der Autonomie gegen die kapitalistische Gesellschaft ausdrückt.


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