ab, die
in den Geisteswissenschaften und der Musikgeschichtsschreibung gebraucht
wird.43
Die Geschichtlichkeit ist von der positiven Geschichtsschreibung zu unterscheiden, die sich
auf Rekonstruktion zeitlicher und ggf. kausaler Zusammenhänge beschränkt und diese genetisch
darstellt.44
Demnach bedeutet die Geschichtlichkeit, die impliziert, dass man die
Geschichte nur aus sich selbst verstehen müsse, Schneider zufolge sinngebende
Totalität.45
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 40), S. 61.
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Der Historismus als Weltanschauung und Methodik der Geschichtswissenschaften ist nichts
anderes als die direkte Folge eines Mißverständnisses, bei dem »die Geschichte« als Totalität
verdinglicht und als Summe sinnvoller Handlungen mit innerer »Entwicklung« vorgestellt
wird.46
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 41), S. 29–30.
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Für ihn ist der Historismus also als nichts anderes als eine Ideologie anzusehen. Er sei die
säkuralisierte Religion der Gebildeten Europas, die den christlichen Gedanken von Tod
und Auferstehung im Prozess der Heilsgeschichte durch die Geschichtlichkeit der
Menschenwelt ersetzt.
Die sich aus der Geschichtlichkeit ergebende These von der Unwiederholbarkeit der
Tatsachen und Vorgänge setzt den geschichtlichen Entwicklungsprozess voraus. Somit
funktioniert die individualisierende Methode der Geschichtswissenschaften als ein
Wertbegriff, denn die idiographischen Geschichtswissenschaften beziehen Singuläres auf
Werte und beschreiben es als Eigenheit historischer Ereignisse. Dabei lässt die
Verfahrensweise der idiographischen Wissenschaften die schriftlos tradierte Geschichte bzw.
Momente oraler Überlieferung und der ihr zugrunde liegenden Quellengattungen außer
Acht.47
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 40), S. 15.
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Die Geschichtlichkeit dient somit als eine Metaerzählung, mit der die Geschichtslosigkeit
unterbewertet wird. Infolgedessen wird in der den Wertbegriff »Geschichtlichkeit«
voraussetzenden Historischen Musikwissenschaft die Prävalenz der europäischen
Kunstmusik legitimiert, der die außereuropäische Musik mit ihrer »Geschichtslosigkeit«
entgegensteht.
Die sich dank des Historismus im Zuge philosophisch-erkenntnistheoretischer
Grundlegung der geschichts- und geisteswissenschaftlichen Forschung herausbildende
Historische Musikwissenschaft dient sowohl mit ihrem Gegenstand, ausschließlich der
abendländischen Kunstmusik, als auch mit ihrer historischen Methodologie, die
wiederum die abendländische Kultur durch die Geschichtlichkeit legitimiert, als Ideologie
des aufsteigenden Bürgertums. Insofern partizipiert sie an der ideologischen
Legitimationsfunktion der Geisteswissenschaften, die die Identität des modernen,
europäischen Bildungsbürgertums bestätigen.
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