- 53 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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ab, die in den Geisteswissenschaften und der Musikgeschichtsschreibung gebraucht wird.43
43
Ebd., S. 45–46.

Die Geschichtlichkeit ist von der positiven Geschichtsschreibung zu unterscheiden, die sich auf Rekonstruktion zeitlicher und ggf. kausaler Zusammenhänge beschränkt und diese genetisch darstellt.44

44
Ebd.
Demnach bedeutet die Geschichtlichkeit, die impliziert, dass man die Geschichte nur aus sich selbst verstehen müsse, Schneider zufolge sinngebende Totalität.45
45
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 40), S. 61.
Der Historismus als Weltanschauung und Methodik der Geschichtswissenschaften ist nichts anderes als die direkte Folge eines Mißverständnisses, bei dem »die Geschichte« als Totalität verdinglicht und als Summe sinnvoller Handlungen mit innerer »Entwicklung« vorgestellt wird.46
46
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 41), S. 29–30.
Für ihn ist der Historismus also als nichts anderes als eine Ideologie anzusehen. Er sei die säkuralisierte Religion der Gebildeten Europas, die den christlichen Gedanken von Tod und Auferstehung im Prozess der Heilsgeschichte durch die Geschichtlichkeit der Menschenwelt ersetzt.

Die sich aus der Geschichtlichkeit ergebende These von der Unwiederholbarkeit der Tatsachen und Vorgänge setzt den geschichtlichen Entwicklungsprozess voraus. Somit funktioniert die individualisierende Methode der Geschichtswissenschaften als ein Wertbegriff, denn die idiographischen Geschichtswissenschaften beziehen Singuläres auf Werte und beschreiben es als Eigenheit historischer Ereignisse. Dabei lässt die Verfahrensweise der idiographischen Wissenschaften die schriftlos tradierte Geschichte bzw. Momente oraler Überlieferung und der ihr zugrunde liegenden Quellengattungen außer Acht.47

47
Schneider, A., a. a. O. (Anm. 40), S. 15.
Die Geschichtlichkeit dient somit als eine Metaerzählung, mit der die Geschichtslosigkeit unterbewertet wird. Infolgedessen wird in der den Wertbegriff »Geschichtlichkeit« voraussetzenden Historischen Musikwissenschaft die Prävalenz der europäischen Kunstmusik legitimiert, der die außereuropäische Musik mit ihrer »Geschichtslosigkeit« entgegensteht.

Die sich dank des Historismus im Zuge philosophisch-erkenntnistheoretischer Grundlegung der geschichts- und geisteswissenschaftlichen Forschung herausbildende Historische Musikwissenschaft dient sowohl mit ihrem Gegenstand, ausschließlich der abendländischen Kunstmusik, als auch mit ihrer historischen Methodologie, die wiederum die abendländische Kultur durch die Geschichtlichkeit legitimiert, als Ideologie des aufsteigenden Bürgertums. Insofern partizipiert sie an der ideologischen Legitimationsfunktion der Geisteswissenschaften, die die Identität des modernen, europäischen Bildungsbürgertums bestätigen.


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