- 52 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (51)Nächste Seite (53) Letzte Seite (90)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Schneider, der den Historismus und dessen Einfluss auf die Musikgeschichtsschreibung aus Sicht der Systematischen und Vergleichenden Musikwissenschaft diskutiert, nimmt die Ablehnung systematischer Forschung in der Historischen Musikwissenschaft als seinen kritischen Bezugspunkt zum Historismus.

Der Historismus in der Musikgeschichtsschreibung, der die Musikgeschichte als Stil- und Geistesgeschichte zu konstruieren vermag, hat Schneider zufolge die Methode eines das Einmalige und Individuelle erfassenden Verstehens, bzw. die Methode der hermeneutischen Deutung der Motive, welche über die Erfassung des Sinnes einer Äußerung hinausgeht. Schneider findet bei solch einer Musikgeschichtsschreibung kaum Eingang in die Quellenforschungen, Editionsprojekte und die Vielzahl musikhistorischer Detailuntersuchungen.37

37
Ebd., S. 7.
Die Historisierung des Denkens und der Methode bezweckt – so Schneider – keineswegs bloß angemessene Beachtung geschichtlicher Tatsachen, sie hat vielmehr programmatischen Charakter,38
38
Ebd.
d. h. den Anti-Naturalismus. Seiner Ansicht nach vernachlässigt die Historische Musikwissenschaft sowohl die naturwissenschaftliche Auffassung der Musik als auch die naturwissenschaftliche Methodologie. Der methodologische Historismus wandelt sich so zur antinaturalistischen Ideologie. Er datiert die Wandlung vom methodologischen zum ideologischen Historismus um 1860 auf Droysens Streitschrift (1862), die gegen den für Kausalanalyse, Statistik, Vergleichung, Verallgemeinerung und somit für »naturwissenschaftliche« Methodik eintretenden H. Th. Buckle (History of civilization in England, Vols. I/II, London 1859/61) die Eigenart der historischen Wissenschaften (Verstehen) und ihren Unterschied zu den Naturwissenschaften gestellt hat.39
39
Ebd., S. 41.

Mit dem Anti-Naturalismus der Geschichtswissenschaften werden in der geschichtlichen Forschung das analysierende Begreifen und die Rekonstruktion von Zusammenhängen, wie sie etwa der »kausalgenetischen« Betrachtungsweise eigneten, ausgeschlossen. Anstelle dessen bildet ein spezifischer Akt der Sinngebung in und durch die Bewertung eines ausgewählten Materials die geschichtliche Forschung.40

40
Schneider, A., Die Geschichtlichkeit der Kunst und die außereuropäische Musik, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. 24/1, 1979, S. 25.
Damit setzt die historische Geschichtsauffassung ein verstehendes Subjekt voraus. Die Verstehens-Metaphysik ist jedoch nach Schneider Erbe der Romantik wie Methodenideal, das mit Verve gegen Erklärung im rationalen Zugriff gerichtet ist und für Subjektivität des Vermeinens Partei ergreift.41
41
Schneider, A., Analogie und Rekonstruktion, Bd. 1, Bonn: Verlag für Systematische Musikwissenschaft, 1984, S. 40.
Der Geschichte kommt somit eine Funktion zu, die verschiedene Bedürfnisse befriedigt: [. . . ] Über Geschichte haben Subjekte, kollektiv und individuell, ihre Identität, und die Historien dieser Geschichten sind deswegen als Medien der Präsentation dieser Identität tauglich.42
42
Ebd., S. 45.
Diese die Identität innerhalb einer »Wir-Gruppe« bestimmende Funktion der Geschichte liest Schneider insbesondere in der Vokabel »Geschichtlichkeit«

Erste Seite (i) Vorherige Seite (51)Nächste Seite (53) Letzte Seite (90)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 52 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne