- 78 -Kim, Jin Hyun: Musikwissenschaft in der Postmoderne 
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In der musikwissenschaftlichen Forschung werden dementsprechend musiktechnologische Kenntnisse vorausgesetzt. Dies gilt auch für die Historische Musikwissenschaft, da die Musik des 20. Jahrhunderts einen Forschungsgegenstand der Historischen Musikwissenschaft bildet.2
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Charles Seeger, ein amerikanischer Musikwissenschaftler, ordnet zwar die zeitgenössische Musik dem Gegenstand der Systematischen Forschung zu (siehe Seeger, C., Studies in Musicology 1935–1975, Berkeley: University of California Press, 1977, S. 12–13). Aber die Musik des 20. Jahrhunderts – Neue Musik – wird in Deutschland dem Gegenstand der Historischen Musikwissenschaft zugeordnet.
Durch die Einverleibung der Hoch-Technologie in das Gebiet der Musik wurde es notwendig, für die Untersuchung der Musik des 20. Jahrhunderts das Wissen der Mathematik, der Akustik und der Informatik einzubeziehen. Des Weiteren setzt die gegenwärtige musikwissenschaftliche Forschung die im Informationszeitalter benötigte Verfügbarkeit über Informationen – um mit Lyotard zu sprechen: die Enzyklopädie der Datenbank – voraus. Die Idee der Geschichtlichkeit der Musik, die die Musikphänomene als Träger des sich durch die Geschichte entfaltenden Geistes und damit als die Gegenstände des Verstehens begreift, kann bei der musikwissenschaftlichen Untersuchung zur High-Tech-Musik, die mit dem Zerfall der Autonomieästhetik zusammenhängt, durch den von Lyotard entwickelten Leitbegriff der Performativität – der Verfügung über die Technik – ersetzt werden. Die traditionelle, geisteswissenschaftliche Musikforschung scheint mithin im hochtechnologisierten Zeitalter ihre Gültigkeit zu verlieren.

Zusätzlich eröffnet die Postmoderne die Möglichkeit des Methodenpluralismus in der Musikwissenschaft. Nach Lyotard setzt das postmoderne Wissen keine Metasprache voraus. Ihm zufolge haben die großen Erzählungen, die eine Form des Wissens aufgrund ihrer Wahrheitsfähigkeit legitimieren, ihre Gültigkeit verloren. Mit der Delegitimation ermöglicht das postmoderne Wissen die Erfindung in der Meinungsverschiedenheit und die Koexistenz der inkommensurablen Sprachspiele. Dies gilt beispielsweise in der Musikforschung für die Koexistenz der heterogenen Herangehensweisen an die Musikphänomene. Nach der postmodernen Logik ist daher die Vorherrschaft eines bestimmten Zweiges der Musikforschung nicht zu legitimieren. Der Versuch der Legitimation der Popmusikforschung, der in Kapitel 7 der vorliegenden Arbeit dargestellt wurde, erweist sich somit zwar als Kritik an der Moderne, bzw. an der etablierten Herrschaft der Historischen Musikwissenschaft, aber nicht als postmoderne Kritik. In der Postmoderne werden die jeweils mit unterschiedlichen Methoden an die Musikphänomene herangehenden Zweige der Musikforschung dem Oberbegriff der Musikwissenschaft gleichberechtigt subsumiert. Dabei dominiert kein Zweig der Musikforschung. Stattdessen ergänzen sich die widerstreitenden und heterogenen Zweige der Musikforschung und führen dadurch zur Paralogie in der Musikforschung.

Durch den Zerfall der Metaerzählung der Geschichtlichkeit wird die Vorherrschaft der historischen Musikforschung delegitimiert. In der Postmoderne orientiert man sich an der Vielfalt der Geschichten, ohne die Geschichtsphilosophie bzw. den Entwicklungsprozess der Geschichte vorauszusetzen. Die gegenwärtige, deutsche Musikwissenschaft erweist sich jedoch immer noch als »modern«, denn die meisten musikwissenschaftlichen Institute konzentrieren sich hauptsächlich auf die geschichtliche Musikforschung, die sich auf die modernen geisteswissenschaftlichen Methoden stützt. Das in Kapitel 4 erwähnte Memorandum der die deutsche Musikwissenschaft


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