- 102 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (101)Nächste Seite (103) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Wilfried Gruhn

 

Langzeituntersuchung zum Musiklernen von Kleinkindern


Lernen ist eine Tätigkeit, die uns lebenslang begleitet. Allerdings verändern sich die Modi des Lernens mit dem Lebensalter und mit den Lernabsichten. Die große Plastizität des Gehirns verleiht den ersten Lebensjahren für die Entwicklung des Menschen große Bedeutung. Alle wichtigen Fertigkeiten (der aufrechte Gang, die Koordination der Körperbewegungen, das Sprechen, die Begriffsbildung etc.) werden in diesen Jahren erworben. Wir wissen aber auch, daß die Modi des Lernens in der Zeit vor etwa dem 3. Lebensjahr andere sind als die später z. B. im Schullernen eingesetzten. Denn in den ersten Jahren müssen erst die neuronalen Netzwerke und synaptischen Verbindungen aufgebaut werden, die später benutzt und erweitert werden können.


Der musikalischen Entwicklung im Kleinkindalter sind in den letzten Jahren zahlreiche Studien und Publikationen gewidmet worden (Moog 1967; 1968; Peery/Peery 1987; McDonald/Simons 1989; Wilson/Roehmann 1990; Gordon 1990; Fassbender 1993; Papoušek 1996; Deliège/Sloboda 1996, Goswami 1998). So wissen wir, daß bereits Säuglinge eine Beziehung zwischen gesehenen Mundformen beim Artikulieren (Sprechen, Singen) und den zugehörigen Klängen erkennen (Stern 1994, S. 83 ff.; Pouthas 1996, S. 127); daß sie sich an den Kategorien „gleich“ und „verschieden“ orientieren (Gordon 1990) und dabei bereits früh ein feines Differenzierungsvermögen für Tonhöhen entwickeln (Lynch u. a. 1990). Carol Krumhansl und Peter Jusczyk (1990) konnten darüber hinaus nachweisen, daß Säuglinge im Alter von 4.5 bis 6 Monate bereits für die Phasenstruktur von Musik sensibel sind (d. h. sie bevorzugten richtig segmentierte musikalische Phrasen gegenüber willkürlich falsch gegliederten), wie sie auch im kontinuierlichen Sprachfluß Silben und Wortgrenzen erkennen (Saffran/Aslin/Newport 1996). Sie nehmen schon nach zweiminütiger Darbietung statistische Regelmäßigkeiten in Abfolge von Lautkonstellationen wahr. Dabei gibt es noch keine Zeitwahrnehmung in unserem Sinne, sondern zeitliche Folgen werden zunächst als räumliche Bewegung erfahren. Mit ca. 3 Jahren bilden sie eine Vorstellung von „vorher“ und „nachher“ und erst im schulpflichtigen Alter kann Zeit abstrakt zählend erfaßt werden (Pouthas 1996, S. 130).


Den unterschiedlichen Formen des Lernens entsprechen verschiedene Modi der Wahrnehmung. Während Erwachsene Raum und Zeit messend beschreiben und


Erste Seite (1) Vorherige Seite (101)Nächste Seite (103) Letzte Seite (456)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 102 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik