Karl Hörmann
Sinnbildende Musikvermittlung1
Tanzpsychologische Ansätze zur
Analyse und Gestaltung von Musik und Bewegung2
„Der Begriff der Bewegung ist bisher in den Untersuchungen des Wesens und der Wirkung der Musik auffallend vernachlässigt worden; er dünkt uns der wichtigste und fruchtbarste“ (Hanslick 1966, S. 27).
1. Bewegungsbeobachtung als Möglichkeit adressatenbezogener Musikvermittlung
Der aus Prag stammende, zu seiner Zeit viel beachtete und heute noch lesenswerte Musikkritiker Eduard Hanslick forderte in seinem Buch Vom Musikalisch-Schoenen von 1854 den Ansatz einer Musikanalyse bei der Bewegung. Kriterien zur Beobachtung und Deutung von Bewegung, insbesondere zu deren rhythmisch-energetischer Struktur, liegen jedoch erst seit wenigen Jahren vor. Bemerkenswerterweise entstammen sie wie überhaupt viele Methoden eines adressatenorientierten Unterrichts nicht pädagogischer, sondern therapeutischer Forschung und Praxis (so z. B. das Kapitel „Musik und Bewegung“ von Peter Röthig [1989] im vierbändigen Handbuch zur Konzipierung sportwissenschaftlicher Untersuchungen, hg. von Haag u. a., wo fast ausschließlich auf Literatur aus der Musiktherapie Bezug genommen wird). Die für eine kreative Musikerziehung in Frage kommenden Verfahren wurden 1993 aus der Tanz- und Therapieforschung für die Musikanalyse adaptiert (Anhang 1 und 2 aus Hörmann 1993a). Das Profil der rhythmisch-energetischen Struktur (RES) einer Bewegung (ob einer spontanen, ungeformten oder geformten Bewegung des Alltags, des Tanzes oder der Musik spielt dabei keine Rolle) umfaßt in erster Linie den Bewegungsfluß. Damit sind der Ablauf und die Schwingungskurven einer Bewegung gemeint. Diese werden auf ihren Anteil an den Bewegungsfaktoren Raum, Kraft und Zeit (bzw. Klangraum, Dynamik und Tempo) sowie auf den Grad ihrer Ausgeprägtheit und Beherrschung untersucht und mit Merkmalen |